Seit Beginn der Corona-Pandemie wird viel über die psychische Gesundheit Betroffener diskutiert. Insbesondere Studierende, die zum Teil sowohl unter finanziellen Sorgen als auch unter enormem Leistungsdruck stehen, haben momentan harte Kämpfe auszufechten. Swantje Wroble ist Leiterin der psychologischen Beratungsstelle des Studierendenwerks und berichtet in diesem Interview, wie Sie und Ihr Team Studierende unter gegeben Umständen, aber auch schon seit Gründung der Uni Bremen, innerhalb ihres Studiums unterstützen können.
Was war der Grund bzw. Anlass zur Gründung der psychologischen Beratungsstelle, von wem wurde das initiiert und wann?
Die Beratungsstelle gibt es seit 1974, die Uni hat glaube ich 1971 aufgemacht. Es kam dann natürlich ganz klar das Studierendenwerk dazu – damals noch das Sozialwerk. Das Studierendenwerk ist eine Einrichtung, die erfunden worden ist in den 20er Jahren, um das Studieren auch für nicht so vermögende Menschen möglich zu machen, durch verbilligtes Essen, verbilligtes Wohnen, eventuell die finanzielle Förderung über BAföG. Das sind alles sozusagen Solidarleistungen, die erbracht werden, damit auch Menschen, die nicht so einen Zugang zu Geld haben, ein Studium ermöglicht werden kann. Und in dem Zusammenhang findet natürlich die psychologische Beratung oder die Sozialberatung ihre Berechtigung.
In jedem Studium können Schwierigkeiten oder Probleme auftreten; sei es, dass sie studienbezogen sind, also Schreibblockaden, Prüfungsängste, so Klassiker eigentlich; es können aber auch private Probleme sein. Also, dass man ein Elternteil verliert oder dass man Heimweh hat, wenn man im ersten Semester studiert und in einer neuen Stadt ist usw. Und das war eigentlich der Ausgangspunkt, um zu sagen, Studierende brauchen auch eine psychosoziale Anlaufstelle, die auf ihre Belange zugeschnitten ist. Das heißt, in psychologischen oder Sozialberatungsstellen arbeiten Menschen, die sich in dem Hochschulbereich gut auskennen. „Was bedeutet es, zu studieren?“ Das ist also speziell eine Beratung, die auf diese Lebensphase zugeschnitten ist.
Wir haben auch eine Sozialberatung, die ist bei uns in der Stelle räumlich integriert. Da kann man hingehen, wenn man finanzielle Themen hat, wie: „Wie finanziere ich mein Studium?“, „Welche Möglichkeiten habe ich, wenn ich ein Kind habe?“, „Was muss ich erfüllen, wenn ich ein Stipendium beantragen will?“. Also alles, was so um Wohnen und Geld usw. eine Rolle spielt. All diese Fragen können in der Sozialberatung beantwortet werden. Die Kombination von psychologischer und Sozialberatung ist natürlich super, denn Sie können sich vorstellen, wenn man ein Problem hat, hat man meist auch das andere.
Die psychologische Beratungsstelle an der Universität Bremen ist eine Einrichtung des Studierendenwerks und daher hochschulunabhängig in ihrer psychologischen und Sozialberatung. Neben der Anlaufstelle auf dem Campusgelände gibt es noch Außenstellen an den Hochschulen von Bremen und Bremerhaven sowie zukünftig auch der Hochschule für Künste. Da die Beratungskosten u.a. durch die Studiengebühren gedeckt werden, ist das Angebot kostenlos für Studierende. |
Ja, das ist ganz oft der Fall. Man kann auf Ihrer Website lesen, was für Anliegen es im Allgemeine gibt und da hab ich mich gefragt, was die Hauptanliegen von Studierenden der letzten Jahre sind. Das hat sich ja bestimmt geändert in den schon fast 50 Jahren seit der Gründung.
Oh ja, also ich kann einen Zeitraum von 20 Jahren überblicken. Ich habe Ende 1999 hier angefangen als Leiterin und seinerzeit war es so, dass so die typischen Dinge, mit denen Studierende gekommen sind, die Klassiker waren, also Prüfungsängste, Redeängste, Schreibblockaden. Sie hatten auch noch andere Probleme, aber es hat sich in der ganzen Bundesrepublik gezeigt, dass diese studienbezogenen Themen immer im Vordergrund standen. Im Laufe meines Arbeitslebens hat es eine Veränderung gegeben und zwar war das so im Jahr 2010, 2012 etwa. Da tauchte erstmalig auf Platz Nummer 1, also welcher Anlass des Kommens wird am häufigsten genannt, die depressive Verstimmung auf. Das heißt, es wurden depressive Symptomatiken geschildert, also Motivationsverlust, Erschöpfung, Stress, Selbstzweifel, Grübeln, Konzentrationsprobleme. Die Studierenden haben beschrieben, dass sie deshalb in die Beratung kommen. Schlafschwierigkeiten und depressive Verstimmungen haben sich seit dem auf Platz 1 gehalten.
Können Sie sich diesen Wandel erklären?
Eine ganz banale Erklärung ist: vielleicht haben wir die Studierenden vorher nur nicht so genau befragt. Das könnte so sein, es war also schon vorher so, wir haben nur nicht so genau danach gefragt. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass es etwas zu tun hat mit leicht veränderten Leistungsanforderungen. Sie kennen die alten Studienbedingungen nicht mehr, also Diplom und Magister – diese Umstellung vollzog sich ja etwa in Bremen so 2006, 2007. Das Studium hat sich eher für die Studierenden komprimiert; die Leistungsabfragen vollzogen sich von Studienbeginn an. Das könnte eine Erklärung sein, dass man also auch von Anfang an mit Schwierigkeiten konfrontiert wird; wobei das bei Diplom- oder Magisterstudiengängen weiter nach hinten gezogen wurde. Wenn man also Schreibschwierigkeiten hatte, dann merkte man das am Ende des Studiums und nicht am Anfang.
Und ich vermute auch mal, so aus der Erfahrung heraus, dass sich der Druck im Studium auch einfach vergrößert hat. Den Bachelor in sechs Semestern Regelstudienzeit durchziehen und wenn’s dann sieben werden, ist man schon „schlecht“. Der Druck, den die Studierenden sich selber machen, hat sich sicherlich auch vergrößert. Aber das ist auch ein Ausdruck des gesellschaftlichen Druckes. Studierende sind ja sehr in den Fokus geraten in der Bildungspolitik; es hieß, die deutschen Studierenden studieren zu lange im Vergleich zu anderen europäischen Ländern usw.
Das nur mal als Erklärung, um das etwas beleuchten zu können, es gibt aber keine handfesten wissenschaftlichen Belege dafür.
Wo wir gerade bei Veränderungen sind: Wir haben jetzt ja fast ein Jahr Corona hinter uns – haben sich in der Zeit die Beratungsbedarfe nochmal verändert oder sind diese jetzt bei Depressionen etc. geblieben?
Ich hab neulich mal versucht, das so ein bisschen zu eruieren. Tatsächlich ist es so, wenn Studierende Schwierigkeiten hatten im psychischen Bereich, also wenn sie unter Stress oder Depressivität litten, dann hat sich die Symptomatik natürlich noch verstärkt. Allein die Situation, das angewiesen Sein auf selbststrukturiertes Arbeiten, das sind ja alles erhöhte Anforderungen. Und die sind eher belastend als entlastend. Da muss man schon ganz schön tough sein, um das einigermaßen hinzukriegen. Manche profitieren davon – die Mehrzahl eher nicht, sondern das Leiden wird größer.
Das hat auch was mit Finanzierung zu tun: „Wird mein Studium länger finanziert, wenn ich BAföG kriege?“, „Ich hab meinen Job verloren, was mach ich jetzt?“, „Jetzt muss ich noch länger studieren und ich war sowieso schon hinten dran.“ Das sind auch durchaus existenzielle Fragen und das verändert und vergrößert den Druck auf Studierende, die dann zusätzlich noch allein gelassen sind damit. Ein wichtiges Element am Studieren ist ja, mit anderen zusammen zu sein, das fällt schlicht und ergreifend einfach weg. Und von daher denke ich, ja, diese Verunsicherung ist einfach spürbar, die ist deutlich.
Nicht nur die Studierenden unterliegen jetzt den Problematiken von Corona, sondern auch die Beratenden, für die jetzt alles schwieriger umzusetzen ist. Die übliche Beratung von Angesicht zu Angesicht ist ja jetzt nicht möglich. Mögen Sie einmal beschreiben, wie sich die Art und Häufigkeit der Beratungsangebote dieses Jahr verändert haben?
Der erste Lockdown war ja im März und der hat uns in der Beratung ziemlich kalt erwischt. Ich glaube, es gibt niemanden, der sagt: „Ich war da gut vorbereitet“. Es war tatsächlich so, dass wir auf Telefonberatung umgeschaltet haben. Weg von der Beratung von Angesicht zu Angesicht. Das war für uns Beratende erst mal komisch, weil wir es ja gewohnt sind, wirklich auch alle Kanäle zur Verfügung zu haben, also den visuellen und den auditiven – da mussten wir uns erst mal dran gewöhnen. Wir sind als Team allerdings auch aufgeteilt worden, um die Corona-Infektionsgefahr zu relativieren, sodass wir in zwei Teams gearbeitet haben. Das hat es auch nochmal ein bisschen erschwert. Aber letztendlich konnten wir für die Studierenden die Telefonberatung aufrecht erhalten.
Schwierig war das für das Gruppenangebot; eine Gruppe lebt wirklich von dem Miteinander. Wir haben dann mehr schlecht als recht versucht, das über Telefonkonferenzen zu machen, weil wir keine visuellen Medien nutzen durften aufgrund von datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Alle haben gefragt: „Warum machen wir das nicht über Zoom?“ Aber wir machen eine Arbeit, die der Schweigepflicht unterliegt und von daher sind wir an datenschutzrechtliche Regeln gebunden. Wir sind dabei, jetzt solche Medien zu installieren, aber wir warten noch auf das „No“ oder „Yes“ unseres Datenschutzbeauftragten. Davon hängt es eben ab.
Was leider ausfallen musste, waren Angebote wie Workshops, die einfach im persönlichen Rahmen stattfinden und auch mal über zwei Tage gehen. Wir haben dann versucht, ein anderes Format zu finden, dass wir das über Sprechstunden machen oder so. Das klappt nicht besonders gut, aber es ist vielleicht besser als gar nichts. Das Hauptaugenmerk lag im Frühjahr einfach auf der telefonischen Beratung und natürlich auf dem Ausprobieren von neuen Formaten, im Zusammenhang mit Öffentlichkeitsarbeit. Das wir beide jetzt so über Zoom kommunizieren, da wären wir vor einem Jahr noch nicht drauf gekommen.
Irgendwie hat ja die Pandemie auch was Positives, nicht wahr? Man entwickelt sich weiter, weil man das auch einfach muss.
Genau, wir haben auch in der Beratungsarbeit über neue Formate nachgedacht, gerade jetzt beim zweiten Lockdown. Eine Kollegin hat zum Beispiel ein interaktives Angebot entwickelt; sie stellt jede Woche Texte bei uns auf die Homepage. „Trotz Corona erfolgreich studieren“ heißt das. Da kann man sich ein Arbeitsblatt herunterladen und wenn man möchte, kann man dann in den Chat einsteigen. Wir versuchen uns ein bisschen anzupassen an die Belange, die jetzt vielleicht eine Rolle spielen könnten. Und in der Telefonberatung ist es natürlich auch möglich, Nähe herzustellen. Wir sind selber ganz erstaunt, wie intensiv sich die Arbeit dann doch auch mal gestaltet.
Gruppenangebote sind ja eher langfristigere Beratungsangebote. Was ist denn die Regel, also dass sich jemand ein, zwei Mal meldet und dann ist es wieder okay oder sind eher langfristige Beratungen die Regel?
Charakteristikum von Beratungsstellen ist, dass Beratung eher kurz- bis mittelfristig angelegt ist, im Gegensatz zu einer längerfristigen Therapie, die mindestens 25 Stunden dauert. Bei uns liegt der Durchschnitt so bei drei Kontakten. Man kann ein Mal einen Beratungstermin haben, wo eigentlich schon klar ist, dass es z.B. Sinn macht, eine Therapievermittlung zu machen. Das würden wir in ein bis zwei Gesprächen vielleicht behandeln. Es kann aber auch sein, dass jemand uns sieben, acht Mal in Anspruch nimmt. Oder, wenn jemand in einer Gruppe ist, auch länger, vielleicht über zwei Semester sogar. Aber bei der Einzelberatung ist es so, dass man in der Regel irgendwas zwischen ein und maximal zehn Kontakten hat.
Sie hatten gerade den Punkt der Therapie erwähnt: Inwiefern kann der Besuch der Beratungsstelle den Besuch einer psychotherapeutischen Praxis ersetzen? Es ist klar, dass eine Beratung keinen Ersatz für eine vollwertige Therapie liefern kann, aber vielleicht lösen sich ja manche Probleme schon nach ein, zwei Gesprächen auf. Haben Sie da Erfahrungen gesammelt?
Ja, da sprechen Sie etwas ganz Wichtiges an. Das ist glaube ich der ganz große Unterschied zwischen Beratung und Therapie. Therapien sind eher längerfristig angelegt und es geht dort eher darum, problematisches oder beeinträchtigendes Verhalten, Denken oder Empfinden langfristig zu verändern, sodass der oder die Betroffene mehr Lebenszufriedenheit entwickelt. Bei der Beratung ist es häufig so, dass jemand unter einem Thema sehr leidet – aber wenn man sich das dann mal zwei, drei Stunden lang anguckt oder vielleicht auch mal vier, fünf, dass sich dieses Problem dann – ich will nicht sagen in Luft auflöst – aber als handhabbar erweist.
Wir versuchen eher, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, dafür sind wir natürlich Experten. Und wir haben alle therapeutische Ausbildungen, aber wir begleiten die Betroffenen nicht so längerfristig oder sagen wir, nicht so persönlichkeitsverändernd. Das kann keine Aufgabe von Beratung sein. Es geht eher darum, zu gucken, wie kann ich dir wieder ermöglichen, mit eigenen Kräften die Probleme, die da sind und auch weiterhin auftauchen werden, selber anzugehen, sodass du damit auch erfolgreich bist. Das ist so ein bisschen der Unterschied zwischen sogenannter „Erkrankung“ und psychischer Gesundheit / Stabilität.
Wir sind ja alle auch mal traurig oder haben unsere Schwierigkeiten, das heißt aber nicht gleich, dass wir krank oder behandlungsbedürftig wären, sondern wir brauchen dann vielleicht mal die Unterstützung von Freunden oder wir brauchen Unterstützung von der psychologischen Beratung. Da kann sich also mit wenigen Gesprächen problematisches Verhalten oder Empfinden oft lösen.
Wenn Sie da nun einen Therapiebedarf erkennen würden, dann wäre die Unterstützung Ihrerseits aber auch gegeben, also beispielsweise beim Vermitteln?
Ja, auf jeden Fall! Wir haben da einen guten Überblick und können eben auch entsprechende Hinweise geben, wie: „Welche Therapieform wäre geeignet?“ oder „Welcher Therapeut / welche Therapeutin, hat sich auf dieses oder jenes spezialisiert?“ Das verstehen wir als ganz wichtigen Schwerpunkt bei uns. Denn wenn man als Laie dann ins Telefonbuch guckt und sucht sich jemanden raus, dann scheitert man schon sehr schnell. Und deswegen macht es Sinn, so etwas bei uns vorzuschalten, damit man auch gut vorbereitet ist.
Es kommen viele Fragen wie: „Übernimmt das meine Krankenkasse?“ und „Wie nehme ich Kontakt auf?“ und „Was ist, wenn ich den / die nicht mag?“ Das sind alles wichtige und ernstzunehmende Dinge, die man vorher ganz gut klären kann, wo man Angst nehmen kann und dann jemand selbstbewusst darauf zugeht und sagt „Ja, das mach ich jetzt – ich denke, das wird mir gut tun!“
Da kann man also nichts falsch machen mit Ihrer Beratung – es kann nur gut ausgehen.
Ich hoffe doch! (lacht) Wir haben in den letzten Jahren Zufriedenheitsbefragungen gemacht und die Rückmeldungen waren immer überwältigend. Ich war immer ganz glücklich, weil 95 oder 97% restlos zufrieden waren. Es gab natürlich auch Kritik, aber wir versuchen auch uns nach den Belangen der Studierenden – denn das ist unsere Zielgruppe – auszurichten und unser Angebot so passgenau auszurichten, dass man sich da auch etwas abholen kann.
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