Inklusive Schulpraxis in Südtirol /Italien – Hintergründe und Gestaltungsmöglichkeiten


Liebe Leser*innen,

 

in diesem Blogbeitrag sollen die 3 Aspekte eines inklusiven Unterrichts Empowerment, Normalisierung und Dekategorisierung, auch als Trilemma bezeichnet, anhand eines Zitats von Pineda diskutiert werden. Anschließend wird es um die aktive Umsetzung eines inklusiven Unterrichts gehen, indem Methoden zum Erfassen von Vorwissen und Interessen der Kinder sowie der Unterschied von geschlossenen und offenen Arbeitsaufträgen diskutiert werden. Am Ende des Blogbeitrags wird auf die Kristallisation von Rollen und das Erkennen von deren Flexibilität eingegangen.

 

Pineda sieht das Hauptproblem der Diskriminierung von „besonderen“ Kindern, wie er sie bezeichnet, in der Adaptierung des Lehrplans. Er meint hierzu, dass Lehrkräfte Lehrpläne zwar an die Bedürfnisse der Kinder anpassen wollen, dies aber tun, indem Lernstoff reduziert wird. Dies führe dazu, dass die betroffenen Kinder nichts lernen würden. Der Aspekt des Empowerments spielt hier eine Rolle, weil unvorteilhafte Situationen für „besondere“ Kinder auf Diskriminationsmechanismen hin untersucht werden oder sogar vermieden werden wollen. Empowerment erkennt man hier auch in der Forderung Pinedas „besonderen“ Kindern eine ganz normale Teilhabe am Unterricht zu ermöglichen, anstatt über die durchgeführte Stoffreduktion Barrieren für die erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft aufzubauen.

Normalisierung spielt bei Pineda insofern eine Rolle, als dass betroffene Kinder nicht einfach weniger lernen sollen, sondern so viel lernen sollen, dass sie Teil der Gesellschaft sein können oder wie Pineda formuliert, sich „in der Gesellschaft behaupten“ können. Inwiefern er damit wie Boger meint, dass alle Menschen wie ein normaler Mensch behandelt werden sollen und nicht wirklich genau das Gleiche lernen sollen, bleibt dabei offen (vgl. Boger 2017).

Auch die Dekategorisierung findet sich in Pinedas Aussage wieder. Er möchte dass alle Kinder das Gleiche lernen.

Dies wirkt sich auf das Statement „Das Recht nicht zu einem „Anderen“ gemacht zu werden“ folgendermaßen aus: Pineda spricht sich dafür aus, dass alle Kinder gleichbehandelt werden sollen. Er möchte also gegen Diskriminierung vorgehen, indem alle Kinder die Möglichkeit bekommen zu lernen. „Das Recht auf Teilhabe an der Normalität“ unterstützt Pineda, da er deutlich macht, dass er den Schlüssel an gesellschaftlicher Teilhabe darin sieht, dass alle das Gleiche lernen und sich daher gegen eine Reduktion von Unterrichtsstoff für „besondere“ Kinder ausspricht. Zu dem Statement „Das Recht Normalisierung zu verweigern“ äußert sich Pineda meiner Ansicht nach nicht, möchte aber auf jeden Fall nicht, dass sich Kinder diskriminiert fühlen.

 

Um herauszufinden welche Erfahrungen, Erlebnisse oder Interessen alle Schüler*innen teilen, würde ich mich der Lebensweltanalyse von Hempel und Lüpkes (vgl. Hempel/ Lüpkes 2009: 44f.) bedienen und so strukturiert alle Lernvoraussetzungen der Kinder erfassen. Dafür teilen Hempel und Lüpkes die Lernvoraussetzungen in vier Kategorien ein. Dazu zählen sachstrukturelle Lernvoraussetzungen (gemeint sind Sachkompetenzen, Interessen sowie Lernstände in einzelnen Inhalts- und Lernbereichen). Die arbeitsmethodischen Lernvoraussetzungen setzen sich aus Methoden- und Sozialkompetenzen und Lern- und Arbeitsverhalten zusammen. Zu den entwicklungsbezogenen gehören spezifische Stärken und Schwächen sowie die körperliche und motorische Entwicklung. Wertbezogene Lernvoraussetzungen meinen eigene Haltungen und Selbstkompetenzen. Meiner Meinung nach gibt es thematisch nicht DEN geteilten Zugang aller Kinder, da Kinder individuell sind. Ich würde alltägliche Situationen für Aufgabenstellungen nutzen, welche alle Kinder gemeinsam haben (z.B. in die Schule gehen, Unterricht, ein Zuhause, Einkaufen gehen, Freundschaften), und diese mit der größten Schnittmenge der Interessen und des Vorwissens in Bezug auf bestimmte Themen, wie z.B. Bibi-und-Tina-Filme oder Dinosaurier verbinden. So würde ich Aufgaben entwickeln, zu denen möglichst alle Kinder eine emotionale Beziehung haben und daher an die Lebenswelt der Kinder anknüpfen. Um diese Themen zu ermitteln, könnte z.B. die Methode des leeren Blattes dienen (vgl. Hessischer Bildungsserver 2022).

Die Offenheit einer Aufgabe erkennt man am Bestehen mehrerer Lösungsmöglichkeiten sowie der Kennzeichnung durch gerechten Austausch und gemeinsame Entscheidungen. Die Geschlossenheit einer Aufgabe dagegen an der Existenz einer einzigen Lösung sowie der Prägung durch Helfer-Beziehungen (vgl. Demo/ Seitz 2022: Folie 36).

Die Kristallisation von Rollen innerhalb des Sozialgefüges einer Kohorte kann beispielsweise daran ermittelt werden, wie viel die Kinder aktiv interagieren. Wie hoch ist ihr Redeanteil in der Gruppe und wenn sie etwas sagen, wird ihnen zugehört? Ein weiterer Faktor sind Expert*innen für bestimmte Themen oder für bestimmte Methoden. Dies kann bereits im vorherigen Unterrichtsgeschehen ermittelt werden.

Wie flexibel Rollen sind, kann ich daran erkennen, wie die Kinder reagieren, wenn man ihnen mal eine Rolle zuschreibt, die sie normalerweise nicht einnehmen und ihnen so Raum gibt, sich in Unbekanntem zu bewegen (vgl. ebd.: Folien 37ff.).

 

Literatur:

Demo, Heidrun/ Seitz, Simone (2022): Inklusion in der Grundschule in Südtirol/ Italien. Zusammenhänge und Gestaltungsmöglichkeiten. (Folien der Ringvorlesung SoSe 2022 des Moduls Umgang mit Heterogenität in der Schule (BiPEb))

Boger, Mai-Anh (2017): Theorien der Inklusion – eine Übersicht. [online] https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/413/317 [Zugriff: 16.06.2022]

Hempel, M./ Lüpkes, J. (2009): Lernen im Sachunterricht. Lernplanung-Lernaufgaben-Lernwege. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengerten

Hessischer Bildungsserver (2022): Methode: Leeres Blatt. [online] https://dms-portal.bildung.hessen.de/elc/fortbildung/pdo/do_mathe_grundschule/diagnostik/fehleranalyse/methode.html [Zugriff: 17.06.2022]


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