Abschlussreflexion


Liebe Leser*innen,

in diesem Beitrag werde ich zunächst meine zentralen theoretischen Erkenntnisse aus der Ringvorlesung erläutern, mich anschließend mit einen Schulalltag prägende Faktoren zum schulischen Umgang mit Heterogenität auseinandersetzen und am Ende meines Beitrages auf in der Vorlesung diskutierte und nicht diskutierte Fragestellungen eingehen.

 

In Bezug auf die Beziehungsarbeit in Schulen ist mir nochmal besonders bewusst geworden, dass für eine gendersensible Pädagogik nach wie vor etwas für die gerechte Behandlung von Jungen und Mädchen getan werden muss, indem bspw. Mädchen im naturwissenschaftlichen Bereich genauso stark wie Jungen gefördert werden sollten oder Jungen im Bereich Sprachen genauso wie Mädchen. Ein weiterer Einflussfaktor gendersensibler Pädagogik ist die Selbstkonstruktion von sozialen Rollen der Kinder. So haben Studien z.B. festgestellt, dass Jungen verglichen mit Mädchen schlechtere Schulleistungen haben und Männlichkeiten mit der Schulart zusammenhängen (vgl. Fuhr/ Michaelik/ Schönknecht 2014: 166f.). Laut diesen Studien findet sich ein Zusammenhang zwischen Lern- und Leistungsmotivation und der konstruierten Maskulinität der Jungen, was dazu führe, dass die Schulleistungen von Jungen davon abhängig seien, „wie Jungen Männlichkeit innerhalb der Schule situativ für sich gestalten“ (Fuhr/ Michaelik/ Schönknecht 2014: 167). Und da „unterschiedliche schulische Sozialisationserfahrungen die Wahrnehmungen und Bewertungsmuster der Jugendlichen entscheidend prägen“ (Faulstich-Wieland/ Horstkemper 1995: 254) und Lehrkräfte dabei wichtige Handlungsfiguren sind (vgl. Faulstich-Wieland/ Horstkemper 1995: 254), sollte Schule über Curricula, Didaktiken, und v.a. aber auch über reflektierte soziale Interkationen „Jungen wie Mädchen darin zu unterstützen, ihre eigene Identität zu finden und zu entwickeln, ohne sich von typisierenden Geschlechtsrollenmustern einengen zu lassen“ (Faulstich-Wieland/ Horstkemper 1995: 254). Organisatorische, curriculare, didaktisch-methodische Überlegungen sind dazu ebenso notwendig wie die Frage nach der Reflexion und Gestaltung der sozialen Interaktionen.“ (ebd.: 254) Faulstich-Wieland und Horstkemper betonen in diesem Zusammenhang die „Variationsbreite schulischer Gestaltungsmöglichkeiten“ (ebd.: 254), wodurch besonders gruppenspezifische Förderungen ermöglicht werden können (vgl. Faulstich-Wieland/ Horstkemper 1995: 254).

Außerdem ist mir die Wichtigkeit von fachspezifischer Bildungssprache bewusst geworden, welche wiederum auf schulisches Vorwissen aufbaut, dass zum Erbringen guter schulischer Leistungen unabhängig von Intelligenz extrem wichtig ist (vgl. Gruber/ Stamouli 2020: 32, vgl. Stern 2003: 11, vgl. Bönig/Thöne 2017: 27). Da DaZ-Kinder das entsprechende Vokabular im familiären Umfeld oftmals in anderen Sprachen lernen und so weniger Vorwissen in deutscher Bildungssprache besteht, könnte man diese Kinder bereits vor der Schulzeit gezielt in diesem Bereich fördern. Diesen Ansatz verfolgen z.B. Bönig und Thöne mit dem mathedidaktischen Projekt Enter (vgl. Bönig/Thöne 2017). Hierbei wurde auf Forschungsergebnisse aufgebaut, die eine Korrelation zwischen narrativen Fähigkeiten und mathematischem Lernen zeigen und eine Verbindung sprachlicher und numerischer Fähigkeiten schon im Vorschulalter deutlich wurde (vgl. ebd.: 27). Das konkrete Ziel des Projekts war „Vorschulkinder aus sozial benachteiligten Familien im Rahmen eines verschränkten Family-Literacy-und Family-Numeracy-Programms zu fördern“ (Bönig/Thöne: 29), was mithilfe von Workshops und Aktionen für die Kinder und ihre Eltern verwirklicht wurde. Damit wurde eine sprachliche und mathematische Förderung ermöglicht (vgl. Bönig/ Thöne 2017: 29).

Den Ansatz könnte man auch auf andere Fächer wie bspw. den Sachunterricht übertragen. Im Sachunterricht spielen sprachliche Kompetenzen wie z.B. „wissenschaftliche Sprache“ oder „die Kommunikation über sich selbst und andere“ eine große Rolle, da sie Voraussetzung für die im Bildungsplan Sachunterricht festgeschriebenen Ziele sind (vgl. Der Senator für Bildung und Wissenschaft 2007). Beispiele für die Ziele sind unter anderem das Formulieren von Fragen und Vermutungen für gezielte Beobachtungen (vgl. ebd.: 7) oder das Beschreiben, Vergleichen und Bewerten von Situationen oder eigenen Gefühlen (vgl. ebd.: 7).

 

 

Wichtig für den Umgang mit Heterogenität in der Schule sind das Verhalten der Lehrkräfte als wichtige Handlungspersonen, die curricularen Anforderungen und die Organisationstruktur von Schulen und politische Entscheidungen zu Geldern, die benachteiligte Gruppen fördern.

So kann mithilfe von Geldern z.B. auf sektoraler Ebene eine konsequente Sprachförderung angeboten werden oder auf der zweiten Handlungsebene mehr pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund und interkulturell geschultes Personal eingestellt werden, um soziokultureller Heterogenität entgegenzuwirken. Auf meinem Gymnasium wurde soweit ich mich erinnern kann, weder eine Sprachförderung angeboten noch gab es interkulturell geschultes Personal oder viele Fachkräfte mit Migrationshintergrund.

Anders sah dies in der Schule meines Orientierungspraktikums aus. Hier gab es Sprachangebote wie z.B. Kurdisch oder Russisch und es gab auch mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund.

Das Verhalten der Lehrkräfte spielt in Bezug auf gendersensible Pädagogik und soziokulturelle Heterogenität eine sehr große Rolle, da Lehrkräfte im engen Kontakt mit den Kindern stehen und über soziale Interaktionen bspw. Wahrnehmungen und Bewertungsmuster prägen (vgl. Faulstich-Wieland/ Horstkemper 1995: 254) und so entscheidend dazu beitragen, inwiefern Schüler*innen sich bei der Entwicklung ihrer Individualität von Typisierungen leiten lassen und dadurch auch Schulleistungen oder das Nachgehen von Interessen positiv oder negativ beeinflusst werden. Hierzu kann ich mich erinnern, dass einige Lehrkräfte auf generelle Ungleichheiten zwischen der Behandlung von Frauen und Männern aufmerksam gemacht haben, aber gendersensible Sprache war zu meiner Schulzeit kaum ein Thema. Auch in der Schule meines Orientierungspraktikums kann ich mich nicht an eine gendersensible Sprache erinnern, aber würde schon sagen, dass es den Lehrkräften dort um die beste individuelle Entwicklung der Kinder ging.

 

Ich würde gerne mehr zu den Fragen erfahren, wie man Jungen und Mädchen im schulischen Alltag fair behandeln kann, da wir verschiedene Probleme zwar theoretisch angesprochen haben, ich aber denke, dass es im praktischen Feld noch wesentlich mehr Problematiken gibt und es interessant wäre auch hierfür sensibilisiert zu werden.

Des Weiteren ist die Frage interessant, wie Schule Sprachdefiziten entgegentreten kann. Hier hatten wir über Bönigs Ansatz zwar Antworten bekommen (vgl. Bönig/ Thöne 2017), allerdings ist darüber hinaus interessant, ob es Konzepte gibt, inwiefern Schule Schüler*innen mit großen Sprachdefiziten helfen kann oder welche Konzepte und Orte es gäbe, wo solche Sprachdefizite ausgeglichen werden können.

Von der Vorlesung hätte ich mir noch erhofft, zu erfahren wie verschiedene Länder mit der Leistungsheterogenität umgehen und wie der Forschungsstand unser System von Aufteilung in Gymnasial- und Real- bzw. Hauptschulzweig oder die entsprechende Kursaufteilung bewertet und welche anderen Konzepte es gibt.

 

Literatur:

Bönig, Dagmar/ Thöne, Bernadette (2017): Integrierte Förderung von Sprache und Mathematik in Kita und Familie. In: Schuler, Stephanie/ Streit, Christine/ Wittmann, Gerald (2017): Perspektiven mathematischer Bildung im Übergang vom Kindergarten zur Grundschule. Wiesbaden: Springer Spektrum. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12950-7. S. 27-39

Der Senator für Bildung und Wissenschaft (2007): Sachunterricht. Bildungsplan für die Primarstufe. Bremen.

Faulstich-Wieland, Hannelore/ Horstkemper, Marianne (1995): „Trennt uns bitte, bitte nicht!“. Koedukation aus Mädchen- und Jungensicht. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden. Reihe Schule und Gesellschaft, Band 7 [online] https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-322-92520-6 [Zugriff: 24.08.2022]

Fuhr, Thomas/ Michaelik, Ruth/ Schönknecht, Gudrun (2014): Der Zusammenhang von Männlichkeitskonstruktionen mit der Lern- und Leistungsmotivation bei Jungen: Ergebnisse einer empirischen Studie. In: Budde, Jürgen/ Thon, Christine/ Walgenbach, Katharina (2014): Männlichkeiten: Geschlechterkonstruktionen in pädagogischen Institutionen. In: Barbara Budrich, Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft. S. 139-170 [online] https://www.jstor.org/stable/j.ctvm201z5.10?seq=31#metadata_info_tab_contents [Zugriff: 24.08.2022]

Gruber, Hans/ Stamouli, Eleni (2020): Intelligenz und Vorwissen. In: Möller, Jens/ Wild, Elke (Hrsg.) (2020): Pädagogische Psychologie. 3. Aufl. Deutschland: Springer Verlag. S. 25-44. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7

Stern, Elsbeth (2003): Lernen – der wichtigste Hebel der geistigen Entwicklung. In: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Vortrag am Hanse-Wissenschaftskolleg [online] https://uol.de/fileadmin/user_upload/diz/ofz/download/Aufsatz%20wichtigerr%20Hebel.pdf [Zugriff: 24.08.2022]


Eine Antwort zu “Abschlussreflexion”

  1. sehr starker, diffenrenzierter beitrag! besonders ansprechend ihre reflexionen zum genderthema und zu der bedeutung der bildungsinstitutionssprache, die viel zu oft nicht zum lerngegenstand gemacht, sonder einfach vorausgesetzt wird…
    cf

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