Ringvorlesung 11
Erläutern Sie den Einfluss von Intelligenz und Vorwissen auf den Lernerfolg. In welchem Verhältnis stehen diese beiden Heterogenitätsdimensionen? Was muss man tun, um ihren jeweiligen Einfluss empirisch zu untersuchen? Und was bedeuten die Befunde für Schule und Unterricht?
Um den Einfluss von Intelligenz und Vorwissen auf den Lernerfolg in der Schule zu beleuchten, ist es vorab notwendig, die beiden Begriffe zu definieren: Langfeld beschreibt die Intelligenz als die „geistigen Fähigkeiten, die sowohl zur Anpassung an die Umwelt als auch zu deren Selektion und Veränderung nötig“ sind (Langfeld, 2006, Psychologie für die Schule, S. 32.). Dabei wird die Intelligenz noch mit den Prädikaten fluid und kristallin ausdifferenziert. Fluide Intelligenz ist die Fähigkeit einer Person auf Situation schnell adäquat zu reagieren und zu schlussfolgern. Dagegen ist die kristalline Intelligenz einer Person die Masse der Fähigkeiten, die ins Verhältnis mit der durchschnittlichen Masse an Fähigkeiten gleichaltriger Gesetzt wird. (Langfeld, 2006, Psychologie für die Schule, S. 32.). Das Vorwissen von Schüler*innen ist Wissen, das nicht in der Schule beziehungsweise im schulischen Rahmen erlernt wurde.
Vorwissen und Intelligenz in Kombination sind der beste Weg zum Lernerfolg. Das zeigt das Experiment von Schneider, Körkel & Weinert aus dem Jahre 1989 (vgl. Folie 7 aus Ringvorlesung 11). Kindern verschiedener Jahrgangsstufen wurde eine Fußballgeschichte präsentiert, die unlogisch war. Das bedeutet, die Geschichte besaß inhärente Schlussfolgerungsfehler, die durch Vorwissen und durch (kristalline) Intelligenz zu erfassen waren. Die Kinder waren in Gruppe eingeteilt, die sich aus allen möglichen Kombination von den Faktoren vorhandenem oder nicht vorhandenem Vorwissen und höherer beziehungsweise niedrigerer Intelligenz zusammensetzten. Die folglich vier Gruppen zeigten eine klare Tendenz, die bei jeder Altersgruppe in dieselbe Richtung verlief: Vorwissen und höhere Intelligenz erwiesen sich unabhängig von einander immer vorteilhafter als niedrigere Intelligenz und kein Vorwissen zu besitzen. Auffällig und ausschlaggebend für die Aussage des Verhältnisses von Vorwissen und Intelligenz ist, dass Kinder mit Vorwissen, aber mit niedrigerer Intelligenz besser abschnitten als Kinder mit keinem Vorwissen und höherer Intelligenz. Das bedeutet, dass Vorwissen primär verantwortlich für den (Lern-)Erfolg ist, aber die Kombination aus Vorwissen und Intelligenz dennoch zu höherem Erfolg führt.
Für die Schule und den Unterricht bedeuten diese Ergebnisse, dass es für Lehrkräfte unabdingbar ist, das Vorwissen und die Intelligenz der Schüler*innen einzuschätzen, sich damit zu beschäftigen und Aufgabenstellungen nötigenfalls zu differenzieren, um für alle den individuellen Lernerfolg zu maximieren.
Einige Befunde der heutigen Sitzung waren für Sie möglicherweise überraschend. Oder Sie sehen einige der Forschungsergebnisse kritisch in Bezug auf Schule und Unterricht. Welche (Forschungs-)Fragen ergeben sich daraus (z.B. für Ihr nächstes Praktikum)? Und wie können Sie diese Fragen beantworten?
Die Befunde der heutigen Sitzung waren für mich nicht sonderlich überraschend. Es ist hinlänglich bekannt, dass Kinder aus Akademikerfamilien in der Schule tendenziell erfolgreicher sind als Kinder aus Arbeiterfamilien. Bevor ich hier die Debatte um Lebensperspektiven, die sich auf Lebensrealitäten gründen, öffne, verweise ich auf den Matthäus-Effekt. Der beschreibt das oben genannte Phänomen mit den Worten, „wer viel hat, dem wird viel gegeben“ (vgl. Folie 37 aus Ringvorlesung 11). Konkret bedeutet der Matthäus-Effekt hier, dass Kinder mit Vorwissen eher erfolgreich sind als Gleichaltrige – mögen sie sogar über höhere Intelligenz verfügen – die weniger Vorwissen besitzen. Das ist ein sich selbst beschleunigender Prozess, der wie ein Katalysator funktioniert: Die Kinder Vorwissen sind erfolgreicher und häufen so noch mehr Vorwissen an, was wiederum dazu führt, dass beispielsweise innerhalb einer Klasse eine große Kluft bezogen auf den Lernerfolg entstehen kann, die sich immer weiter ausbreitet (vgl. Schwippert, Bos, & Lankes, 2003).
Deswegen ist es unübersehbar wichtig, dass in der Schule Aufgaben maximal möglich differenziert werden und das individuelle Lernen forciert und fokussiert wird.
Es sind also weniger Fragen, die sich mir für meine Tätigkeit als Lehrkraft stellen, sondern schon klare Antworten und Tatsachen, auf die es adäquat für mich zu reagieren gilt.
Am Ende des Vortrags wurden zwei verschiedene Adaptionsmodelle (Weinert, 1997; Leutner, 1992) dargestellt. Finden Sie zu jeder der in den Modellen genannten Reaktionsmöglichkeiten bzw. Adaptionsformen Praxisbeispiele.
Die beiden Adaptionsmodelle, Reaktionsformen von Weinert (1997) und Zweck vs. Umsetzung von Leutner (1992), sind als Reaktionen und Umgangskonzepte zu verstehen, die sich auf das Problem der bedingten Einflussnahmefähigkeit der Schule auf die Leistungsunterschiede der Schüler*innen beziehen.
Zunächst Weinerts Reaktionsformen.
In diesem Modell gibt es vier Arte um auf das obig genannte Problem zu reagieren.
Die passive Reaktion ist das Ignorieren der Leistungsunterschiede durch die Lehrkraft, was in der Praxis der Aktion einer Lehrkraft entspricht, den Schüler*innen sich trotz extrem negativer oder extrem positiver Leistungen selbst zu überlassen. Es findet keine unterstützende Maßnahme statt.
Die Substitutin Reaktion ist der Versuch, die Schüler*innen Inn Bezug auf die Lerngruppe zu homogenisieren. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn ein komplett neues und für jeden unbekanntes Thema eingeführt würde. Allerdings bleibt die Heterogenität der Schüler*innen bin Bezug auf beispielsweise methodisches Lernen bestehen. Meiner Meinung nach ist diese Reaktion inadäquat und nicht in der Praxis anwendbar.
Die aktive Reaktion ist von dem Standpunkt eines angepasstem Unterrichts zu denken. Dieser wird den Leistungsunterschieden angepasst. Das wäre z.B. bei wählbaren Schwierigkeitsgraden von Aufgabenstellungen.
Die proaktive Reaktion zielt auf die Individualisierung des Unterrichts ab. Schwächere Schüler*innen bekommen gezielte Unterstützung, während stärkere Schüler*innen individuell gefordert werden. (Weinert 1997)
Leutners Zweck vs. Umsetzung.
Leutners Modell unterscheidet zwischen Zwecken und deren Umsetzung durch Anpassung des Unterrichts.
Die Förderung ist ein im Unterricht individuell Eingriff und soll schwächeren Schüler zu besseren Leistungen verhelfen. Extra Stoffwiederholungsmaterial oder erweiterte Lernzeit für schwächere Schüler*innen ist ein Beispiel dafür.
Die Kompensation versucht die Leistungsunterschiede in der Lerngruppe auszugleichen.
Dazu kann beispielsweise bei einer Lese-Rechtschreibschwäche durch die Beigabe eines Rechtschreiblexikons bei einer Klausur die Schwäche kompensiert werden. Dabei wird das Lernziel angepasst und die Schwäche kompensiert. Bei der*dem Betroffenen ist die Verbesserung der Rechtschreibung nicht das Lernziel.
Der Präferenzzweck kann beispielsweise durch Verlagerung des Lernstoffes auf die individuellen Interessen des*der Schüler*in durch adäquate Anpassung der Lernmethode realisiert werden. Wenn ein*e Schüler*in eine Präferenz für einen bestimmten Lernbereich entwickelt beziehungsweise sie bemerkt wird, kann individuell die Lernmethodik für diesen Bereich intensiviert werden. (Leutner 1997)
Quellenverzeichnis
Leutner, D. (1992). Adaptive Lehrsysteme. Instruktionspsychologische Grundlagen und experimentelle Analysen. Weinheim: Beltz.
Ringvorlesung 11: Die kognitiven Dimensionen von Lernerfolg: Intelligenz vs. Vorwissen von Florian Schmidt-Borcherding
Schwippert, Bos, & Lankes, 2003
Weinert, F. E. (1997). Notwendige Methodenvielfalt: Unterschiedliche Lernfähigkeiten der Schüler erfordern variable Unterrichtsmethoden des Lehrers. Friedrich-Jahresheft (1997): Lernmethoden – Lehrmethoden – Wege zur Selbständigkeit, 50-52. Seelze: Friedrich-Verlag.