▶︎ von Maren Basler, Ann-Kathrin Brodkorb und Lena Wortmann

Wir alle kennen es, die Nase läuft, der Kopf schmerzt, aber der Schreibtisch und die To-Do-Liste auf der Arbeit sind am überlaufen. Also was tun wir? Natürlich zur Arbeit gehen, denn ansonsten wissen wir nicht, wie wir unsere Aufgaben unter einen Hut bekommen sollen. Arbeiten trotz Krankheit – genau das beschreibt das Phänomen Präsentismus. Arbeitnehmer:innen kommen zur Arbeit, obwohl sie gesundheitliche Einschränkungen physischer oder auch psychischer Art aufweisen und damit eigentlich einen guten Grund hätten, zuhause zu bleiben. Leider ist dies ein Problem, welches in Unternehmen unabhängig von Hierarchieebenen auftritt. Dietz und Kolleg:innen haben dazu eine Studie durchgeführt, die die negativen Auswirkungen eines solchen Verhaltens aufzeigt. Sie macht deutlich, wieso Unternehmen unter anderem auf der Führungsebene ansetzen sollten, um genau diesem Verhalten entgegenzuwirken.

Probleme mit Präsentismus

Sie fragen sich, wo das Problem bei Präsentismus liegt? Für Unternehmen ist es doch sicherlich von Vorteil, wenn Mitarbeiter:innen zur Arbeit kommen, all ihre Aufgaben erledigen und das Tagesgeschäft weiterlaufen kann, oder nicht? Nein, ganz im Gegenteil: Fakt ist, Personen, die viel Präsentismus zeigen, haben in Summe mehr Fehltage. Wie das nun wieder sein kann? Durch Präsentismus bestehen weniger Möglichkeiten zur Erholung, was zu einer Anhäufung psychophysiologischer Belastung führt. Der Gesundheitszustand verschlechtert sich und auch bestehende Krankheiten werden noch schlimmer. Es kommt zu emotionaler Erschöpfung, die Arbeitsfähigkeit und die Gesundheit sind beeinträchtigt und das Risiko an einer Depression zu erkranken steigt. Mitarbeiter:innen, die trotz Krankheit zur Arbeit gehen, weisen einen Verlust an Produktivität auf, welcher wiederum zu Ineffektivität auf der Arbeit führt. Auch für die Organisation hat dies Auswirkungen. Durch die beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit und Gesundheit kommt es zu immer mehr krankheitsbedingten Fehlzeiten. Gleichzeitig wirken sich Produktivitätsverluste negativ auf Unternehmen aus und das Arbeitsengagement und die Arbeitszufriedenheit werden durch Präsentismus reduziert. Alle diese Konsequenzen haben sodann Auswirkungen, die noch weiter reichen (bspw. auf das Gesundheitssystem und die Volkswirtschaft). Doch was trägt denn dazu bei, dass eine so große Anzahl an Menschen Präsentismus an den Tag legt? Neben der Unternehmenskultur, den -werten und dem Arbeitsklima im Büro hängt die Arbeitsplatzsituation entscheidend von einer Person ab: der jeweiligen Führungskraft!

Der Einfluss von Führungskräften

Der Zusammenhang zwischen Führungsverhalten und der Gesundheit von Mitarbeiter:innen wird schon lange wissenschaftlich untersucht und ist bestätigt. Das Verhalten einer Führungskraft hat einen Einfluss auf die Belastung und das Wohlbefinden von Mitarbeiter:innen, die Arbeitszufriedenheit, den Krankenstand und auch auf die gesamte körperliche Gesundheit. Dieser Einfluss kann direkt und indirekt erfolgen. Direkt erfolgt er, indem Führungskräfte Regeln definieren und Erwartungen an das Verhalten bei der Arbeit teilen. Indirekt wirkt er, indem Führungskräfte zeigen, wie sie selbst denken, fühlen, arbeiten und damit sogenannte deskriptive Normen definieren. Tatsächlich zeigt sich der Einfluss von Führungskräften so stark, dass wenn diese Präsentismus zeigen, auch ihre Mitarbeiter:innen mehr Präsentismus zeigen.

Erklärungsansätze

Um Präsentismus und den Einfluss von Führungskräften zu verstehen, werfen wir einen Blick auf die sozialen und psychologischen Effekte, die diesen verstärken. Der beschriebene Einfluss von Führungskräften zeigt sich in dem Phänomen des sogenannten Trickle-Down-Effekts. Dieser meint, dass Mitarbeiter:innen das Verhalten ihrer Führungskraft annehmen bzw. kopieren. Einen Erklärungsansatz für diesen Effekt bietet die Theorie des Beobachtungslernens des Psychologen Albert Bandura. Diese beschreibt, wie Verhaltensweisen erlernt werden können: durch direkte Erfahrungen oder das Beobachten eines Verhaltens bei einer anderen Person – einem Vorbild. Eine weitere Theorie, die im Hinblick auf den Einfluss von Führungskräfteverhalten auf den Präsentismus von Mitarbeiter:innen interessant ist, ist die Theorie der sozialen Informationsverarbeitung. Diese besagt, dass das soziale Umfeld eines Menschen eine wichtige Informationsquelle für angemessenes Verhalten darstellt. Personen ziehen Informationen aus ihrer Umwelt und passen ihre Einstellung und ihr Verhalten an diesen Kontext an. Quellen solcher Hinweise – auch Cues genannt – ergeben sich u. a. aus Erfahrungen, Kommentaren anderer Personen aus dem Umfeld oder auch aus Beobachtungen. Diese Cues geben sodann Aufschluss über Erwartungen daran, wie unser Verhalten in diesem sozialen Umfeld sein sollte. Wir Menschen sind dann in der Lage unser Verhalten und unsere Einstellungen an jene Erwartungen anzupassen. Diese beiden Theorien können den Trickle-Down-Effekt bei Präsentismus erklären. Bei der Arbeit fungieren Führungskräfte als Vorbild und bieten durch ihr Verhalten Cues, die den Mitarbeiter:innen Hinweise an soziale Erwartungen bieten. Studienergebnisse von Dietz und Kolleg:innen bestätigen diesen Effekt. Sie fanden heraus, dass Präsentismus-Verhalten bei Führungskräften dazu führt, dass auch ihre Mitarbeiter:innen mehr Präsentismus zeigen. Präsentismus fließt also bildlich gesprochen durch die Hierarchie nach unten. Über einen Zeitraum von einem Jahr und zehn Monaten stiegen in der Studie bei Mitarbeiter:innen sowohl die Anzahl als auch die Häufigkeit der Fehltage dann, wenn Führungskräfte selbst vermehrt Präsentismus zeigten. Letztlich erhöht Präsentismus von Führungskräften zum einen den Präsentismus und zum anderen indirekt die Fehltage von Mitarbeiter:innen.

Fazit

Was fangen Sie jetzt mit diesen neu gewonnenen Erkenntnissen an? Auf lange Sicht wollen wir doch alle nur gesund und arbeitsfähig bleiben. Im Kontext der Arbeit können wir also bei Führungskräften den entscheidenden Anfang machen – aber wie? Grundsätzlich gilt es, Führungskräfte für dieses Thema und auch für den Einfluss, den sie haben, zu sensibilisieren. Aber auch Mitarbeiter:innen müssen über das Thema Präsentismus informiert werden. Zudem sollten Regeln in Bezug auf Anwesenheit und Krankheit im Unternehmen aufgestellt und von Mitarbeiter:innen und Führungskräften gleichermaßen gelebt werden. Es ist wichtig, dass diese in der Unternehmenskultur verankert sind und aktiv gelebt werden – nur mit einer authentischen und gelebten Unternehmenskultur kann sichergestellt werden, dass Führungskräfte tatsächlich zuhause bleiben, wenn sie krank sind. Für alle muss klar sein, ab wann genau Krankheit beginnt und nicht zur Arbeit erschienen werden soll. Noch interessanter wird dieses Thema im Hinblick auf jüngste und zukünftige Entwicklungen – Stichwort Homeoffice. Denn auch dort sollte bei Krankheit nicht gearbeitet werden. Der naheliegendste Ansatzpunkt ist und bleibt jedoch: Wenn die Führungskraft krank ist, sollte sie nicht zur Arbeit gehen. Erscheinen Mitarbeiter:innen krank zur Arbeit, sollten diese nach Hause geschickt werden. Das bedeutet also: „Bleib zuhause Chef und werde deiner Rolle als Vorbild gerecht“.

 

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Literatur

Bandura, A. (1971). Social learning theory. General Learning Press.

Dietz, C., Zacher, H., Scheel, T., Otto, K., & Rigotti, T. (2020). Leaders as role models: Effects of leader presenteeism on employee presenteeism and sick leave. Work & Stress, 34(3), 300-322. https://doi.org/10.1080/02678373.2020.1728420

Salancik, G. R., & Pfeffer, J. (1978). A social information processing approach to job attitudes and task design. Administrative Science Quarterly, 23, 224–253.

Bildquellen

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