▶︎ von Sebastian Bahr, Mario Kerstinger und Anna Kolbanenko
Verhandlungen sind ein wichtiger Teil unseres täglichen Lebens, sei es im beruflichen Kontext, wenn wir mit Geschäftspartner:innen an einem gemeinsamen Projekt arbeiten und unterschiedliche Vorgehensweisen haben, oder im privaten Bereich, zum Beispiel bei Streitigkeiten mit Nachbar:innen über die Reparatur eines Zauns oder bei Preisverhandlungen auf dem Flohmarkt. Oft haben die Beteiligten unterschiedliche Interessen und es kommt zu unangenehmen Auseinandersetzungen, wenn keine Einigung erzielt werden kann. Wie ist es also möglich, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten akzeptabel ist?
Um dieses Thema besser greifbar zu machen, stellen wir uns folgendes Szenario vor:
Jonas, 22, hat kürzlich sein Bachelorstudium im Bereich Maschinenbau erfolgreich abgeschlossen und ist nun auf der Suche nach einem geeigneten Arbeitgeber, der seinen Vorstellungen entspricht. Nach ausgiebiger Recherche kommen für ihn lediglich zwei große Automobilhersteller in Frage, die auch zufällig in seiner Heimatstadt ansässig sind. Er bewirbt sich bei beiden Unternehmen auf eine ausgeschriebene Stelle. Glücklicherweise erhält er in den darauffolgenden Wochen jeweils eine Einladung zum Bewerbungsgespräch. Jonas hat bereits einen Favoriten im Hinterkopf und darf sich bei diesem Unternehmen auch tatsächlich zuerst vorstellen. Während des Gesprächs hat er ein sehr gutes Gefühl und den Job bereits fast in der Tasche. Zum Abschluss des Gesprächs kommt das Thema Gehalt zur Sprache. Die ihm vorgeschlagene Summe gefällt Jonas jedoch nicht und so entschließt er sich zu pokern. Er erzählt seinem Gegenüber, dass er bereits eine weitere Zusage von einem Konkurrenzunternehmen bekommen hat und diese sogar seinen Gehaltsvorstellungen entspricht. Sein Gegenüber bleibt jedoch standhaft und versichert, ihm aus diesem Grund keine besseren Konditionen anbieten zu können. Das Gespräch kommt daraufhin schnell zum Abschluss. Jonas bleibt sich seiner Sache jedoch sicher und geht zwei Tage später zu seinem zweiten Bewerbungsgespräch. Dieses läuft jedoch überhaupt nicht wie geplant und er erhält noch am selben Tag eine Absage. Als er daraufhin bei dem ersten Unternehmen anruft, um sich zumindest diesen Job zu sichern, erhält er hier jedoch ebenfalls eine Absage, da „er ja bereits ein viel besseres Angebot bekommen hat“.
Aus diesem Fehlschlag will Jonas lernen und informiert sich gründlich zum Thema Verhandlungen sowie Entscheidungsfindung in Verhandlungen. Er beginnt mit den Grundlagen und fragt sich zunächst, was Verhandlungen eigentlich genau sind.
Was genau sind Verhandlungen?
Er erfährt, dass Verhandlungen als soziale Interaktionen zu verstehen sind. Diese entstehen, wenn zumindest eine der Verhandlungsparteien ein Ungleichgewicht wahrnimmt bzw. den Wunsch danach hat, dieses auszugleichen. Das Ziel der beteiligten Parteien (mindestens zwei) dabei ist es, eine Einigung bzw. einen Ausgleich mit Hilfe von Kommunikation zu erreichen. Verschiedene Faktoren, wie z. B. bisherige Erfahrung mit der anderen Partei, Erwartungen oder Interpretation des kommunizierten Inhalts können eine Verhandlung beeinflussen.
Und wie viele verschiedene Arten gibt es?
Jonas versteht, dass er in seiner Situation einer kompromissorientierten Verhandlungssituation ausgesetzt war. Diese ist neben dem positions- sowie verständigungsorientierten Verhandeln eine der drei existierenden Hauptarten. Beim kompromissorientierten Verhandeln ist die Erreichung seiner eigenen Wünsche meist nicht vollständig möglich. Wir versuchen diesen also so nah wie möglich zu kommen und verhandeln einen Kompromiss („Treffen wir uns in der Mitte!“). Grundsätzlich bemerkt er jedoch auch, dass sich nur wenige Verhandlungen auf nur eine dieser Arten beschränken. Das heißt, während einer Verhandlung können auch verschiedene Arten von Verhandlungen gleichzeitig angewendet werden.
Aber wozu das Ganze?
Wie Jonas bereits gelernt hat, dienen Verhandlungen dazu, ein wahrgenommenes Ungleichgewicht wieder auszugleichen. Dieses Ungleichgewicht kann nun aber verschiedene Formen annehmen. Im Kern lassen sich diese unter drei Hauptfunktionen zusammenfassen:
- Konflikte lösen (z. B. Meinungsverschiedenheiten/Streit)
- Anschlussfähige Lösungen finden (z. B. nach Meinungsverschiedenheiten oder einem Streit)
- Entscheidungen treffen
Jonas fällt auf, dass die dritte Funktion, also Entscheidungen treffen, gut zu ihm und seiner erlebten Erfahrung passt. Er hat nämlich die falsche Entscheidung getroffen und sich somit ein eventuell gutes Jobangebot verspielt.
Best Alternative to a negotiated Agreement (“BATNA”)
Im weiteren Verlauf seiner Recherche stößt er auf das Konzept “best alternative to a negotiated agreement”, abgekürzt “BATNA”. Das Konzept scheint wie für ihn gemacht. Denn es stellt für Verhandelnde anscheinend eine wichtige Option zur Entscheidungsfindung dar, falls es nicht direkt zu einer Einigung kommt oder kommen könnte. Das Grundprinzip versteht er schnell. So ist es in Verhandlungssituationen immer ratsam, alle möglichen Alternativen zu kennen und miteinander zu vergleichen. Aus diesem Vergleich entsteht die persönliche BATNA, also die bestmögliche Alternative, für die sich entschieden werden kann, wenn die aktuelle Verhandlung scheitert. Das Ziel dabei ist es, das Ergebnis der aktuellen Verhandlung besser zu gestalten, als die bestmögliche Alternative es bieten könnte. Insbesondere in Situationen, in denen das Machtverhältnis, z. B. in seinem Fall ein Bewerbungsgespräch, nicht ausgeglichen ist, kann diese Vorgehensweise davor schützen, zu sehr von einer Option abhängig zu sein. Wichtig dabei ist, dass dieses Konzept nicht nur von Jonas als Bewerber angewendet werden kann, sondern auch zu jedem Verhandlungszeitpunkt von dem Unternehmen, in dem er sich bewirbt. Denn auch dieses möchte eine gute Entscheidung bei der Auswahl der Bewerber treffen.
Jonas begreift, dass er die während seines ersten Bewerbungsgesprächs zur Verfügung stehenden Alternativen nicht ausreichend berücksichtigt bzw. falsch eingeschätzt hat. So wurde ihm seine Notlüge, mit der er sich einen persönlichen Vorteil erschleichen wollte, zum Verhängnis. Er findet diesbezüglich sogar eine aktuelle Studie. In dieser wird das Verhandeln mit nicht vorhandenen BATNAs untersucht. Gemeint ist, dass eine Partei lediglich vorgibt, eine bessere Alternative zu haben. Ziemlich genau so, wie er es getan hat.
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass das Vorgeben von besseren Alternativen zwar die eigene Verhandlungsmacht stärkt, jedoch auch unethisches und manipulatives Verhalten begünstigt. Des Weiteren stellte sich heraus, dass es oft zu einem Reputationsverlust führt, wenn nicht vorhandene oder unwahrscheinliche Alternativen beim Verhandeln eingesetzt werden. Vor allem, wenn diese am Ende wirklich nicht realisiert werden können und erneut mit der ursprünglichen Partei verhandelt werden muss. Jonas versteht nun auch, weshalb er letztendlich vom zweiten Arbeitgeber abgelehnt worden ist.
BATNA – Und nun?
Jonas fasst für sich und vor allem für seine nächsten Bewerbungsversuche zusammen, dass es in Verhandlungssituationen entscheidend sein kann, seine eigene beste Alternative zu kennen und diese auch als Ausgangspunkt für Verhandlungen zu nutzen, um eine starke Verhandlungsposition zu erreichen. Worauf er jedoch achten sollte, ist die Verhandlungsmacht seines Gegenübers sowie die Wahrscheinlichkeit seiner Alternativen richtig einzuschätzen. Hierbei ist ein besonderes Maß an Feingefühl gefragt. Denn auf der einen Seite möchte er sein Gegenüber während der Verhandlung nicht nachhaltig verärgern. Auf der anderen Seite möchte er aber genug glaubwürdigen Druck erzeugen, um seine Wünsche besser durchzusetzen bzw. ein befriedigendes Ergebnis für sich selbst erreichen zu können.
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Literatur:
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Bildquelle:
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