▶︎ von Fynn Plugge, Raik Schilling und Tim Vorbrodt
Was verändert sich, wenn wir unter Druck Entscheidungen treffen? Was machen wir, wenn wir nicht alle wichtigen Abwägungen vorher treffen können und intuitiv unsere Entscheidungen treffen müssen? Und wie verändert sich unsere Erwartung an Andere je nachdem wie wir selber sind? Auf keine dieser Fragen hat die Wissenschaft bis heute eine eindeutige Antwort gefunden.
Manche Wissenschaftler:innen gehen dabei davon aus, dass Menschen soziale Wesen sind und sich unter Druck immer kooperativ verhalten. In der Praxis könnte das beispielsweise so genutzt werden, dass in Verhandlungen Druck auf den/ die Partner:in ausgeübt wird, um ein kooperatives Verhalten zu erzwingen. Andere Wissenschaftler:innen sind hier skeptischer. Sie gehen davon aus, dass Menschen sich unter Druck eher ihrer Persönlichkeit entsprechend verhalten. Dies würde in der Realität bedeuten, dass sozial-orientierte Menschen unter Druck noch häufiger sozial agieren und selbst-orientierte Menschen noch stärker auf ihren eigenen Vorteil achten. In einer Verhandlung würde ein selbst-orientierter Mensch sich also noch egoistischer verhalten und ein sozial-orientierter Mensch noch kooperativer sein. Doch welche Position entspricht eher der Wirklichkeit?
Mit dieser Frage haben sich auch Sun und Kolleg:innen (2023) in einer aktuellen Studie auseinandergesetzt. Hierfür griffen sie auf das sogenannte Gefangenendilemma zurück. Bei dem Gefangenendilemma handelt es sich um ein Spiel für zwei Spieler:innen. Es können beliebig viele Runden hintereinander gespielt werden. Das Dilemma kann der Spieltheorie zugeordnet werden. Die Spieltheorie ist eine bedeutende wissenschaftliche Theorie, die in zahlreichen Bereichen der Wissenschaft genutzt wird, um menschliches Entscheidungsverhalten zu untersuchen. Dafür werden in wissenschaftlichen Untersuchungen Spiele nach zuvor festgelegten Regeln gespielt und das Verhalten der Teilnehmenden beobachtet. Beim Gefangenendilemma spielen zwei Teilnehmer:innen gleichzeitig gegeneinander. Hierbei können sie sich meist nicht sehen und wissen nicht, wie ihr Gegenüber sich entscheidet. Die Teilnehmenden wissen also gar nichts übereinander. Beide Spieler:innen haben in jeder Runde zwei Entscheidungsmöglichkeiten. Sie können entweder eine kooperative Entscheidung treffen oder mit ihrem Gegenüber konkurrieren. Kooperieren beide Spieler:innen, erhalten beide einen mittleren Gewinn. Konkurrieren beide, verlieren sie einen höheren Teil ihres Geldes. Verhalten sie sich unterschiedlich, erhält der/die konkurrierende Spieler:in den größtmöglichen Gewinn, der/die kooperierende Spieler:in geht leer aus. Konkurrieren verspricht also den einzelnen Spieler:innen den höchstmöglichen Gewinn, kooperieren kann jedoch helfen für beide Spieler:innen gemeinsam Gewinne zu erzielen.
Neben dem Gefangenendilemma versuchten Sun und Kolleg:innen in ihrer Studie die Teilnehmenden durch laute Geräusche zu intuitiven Entscheidungen zu bewegen. Diese Methode hat sich auch in früheren Studien anderer Wissenschaftler:innen bereits als nützlich erwiesen, um intuitives Denken zu fördern. Dies lässt sich dadurch erklären, dass Lärm die Informationsverarbeitung erschwert. Folglich bekamen die Spieler:innen in einigen Runden Lärm zu hören. Ob ihre Teilnehmenden tendenziell sozial-orientiert oder selbst-orientiert waren, testeten sie vorab, indem sie ihren Teilnehmer:innen verschiedene Verteilungsaufgaben vorlegten. Dabei sollten die Teilnehmer:innen fiktive Geldbeträge in verschiedenen Situationen auf sich und andere aufteilen. Selbst-orientierte Menschen neigen bei solchen Aufgaben dazu sich selbst größere Beträge zu geben als sozial-orientierte Menschen. Überlegen Sie doch einmal an dieser Stelle, wo sie sich selbst einordnen würden. Sind sie eher ein selbst-orientierter oder sozial-orientierter Mensch und wie wirkt sich diese Eigenschaft auf ihr persönliches Entscheidungsverhalten aus?
In den Versuchen von Sun und Kolleg:innen zeigt sich, dass sozial-orientierte Menschen tatsächlich deutlich häufiger kooperieren als egoistische Menschen. In Runden, in denen die Spieler:innen Lärm ausgesetzt waren, änderte sich jedoch die Kooperationshäufigkeit nicht bei allen. Sun und Kolleg:innen fanden also keinen Hinweis darauf, dass intuitives Denken immer zu kooperativem Verhalten führt. Das intuitive Denken wirkt sich jedoch insofern aus, als das sozial-orientierte Menschen intuitiv noch deutlich häufiger zu kooperativen Entscheidungen greifen. Gleichzeitig entscheiden egoistische Menschen sich noch deutlich häufiger zu konkurrieren. Diese Ergebnisse der Untersuchung sind ein Hinweis darauf, dass intuitives Denken persönliche Einstellungen noch verstärkt. Außerdem erscheint das Verhalten entgegen den eigenen Einstellungen leichter möglich zu sein, wenn sich nicht spontan entschieden werden muss.
In einem zweiten Versuch untersuchten Sun und Kolleg:innen zusätzlich noch, ob Menschen basierend auf ihrer sozialen Orientierung unterschiedliche Erwartungen an ihre Mitspieler:innen stellen. Hierfür fragten sie die Teilnehmer:innen nach einigen gespielten Runden danach, wie häufig sie eine kooperative Entscheidung des Gegenübers in den kommenden Runden erwarten. Hier zeigte sich, dass intuitives Denken die Kooperationserwartung von selbst-orientierten Menschen verringert. Für sozial-orientierte Menschen zeigt sich dieser Effekt jedoch nicht. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass sozial-orientierte Menschen eine stabile Kooperationserwartung an ihre Gegenüber stellen. Andererseits könnte die Kooperationserwartung von selbst-orientierten Menschen scheinbar von ihren Möglichkeiten der Informationserwartung abhängen.
Unklar bleibt dabei jedoch inwiefern sich die Erkenntnisse aus den Experimenten auch vollständig auf das echte Leben übertragen lassen. Echte Dilemma-Situationen sind nämlich meist deutlich komplexer als das Gefangenendilemma. Außerdem haben wir Menschen häufig deutlich mehr Möglichkeiten Entscheidungen zu treffen als in dem Spiel. Auch werden Entscheidungen in der Realität häufig nicht unabhängig voneinander getroffen. Dies lässt sich am Verhandlungsbeispiel noch einmal verdeutlichen. Hier treffen die Personen ihre Entscheidungen nicht getrennt voneinander, sondern im gemeinsamen Gespräch. Sie haben eine Beziehung zueinander und wissen, was die andere Person will. Außerdem beeinflusst die Situation der Verhandlung das Verhalten der einzelnen Personen.
Sind Erkenntnisse zum Gefangenendilemma deshalb wertlos? Keineswegs. Sie können uns helfen, das Verhalten von Menschen unter Labor-Bedingungen in einfachen Situationen besser zu verstehen. Sie bilden damit eine wichtige Grundlage, um Verhalten auch in realistischen und komplexen Situationen verstehen zu können.
Überlege dir also in Zukunft genau, wenn du vor einer Entscheidung stehst, wie du in der Situation agieren möchtest. Denn die Folgen deiner Entscheidung hängen auch damit zusammen, ob dein Gegenüber eher selbst- oder sozialorientiert ist.
***
Literatur
Riechmann, T. (2014). Spieltheorie (Vahlens Kurzlehrbücher) (4., vollständig überarbeitete Auflage). Vahlen.
Sun, Q., Luo, S., Gao, Q., Fan, W. & Liu, Y. (2022). Intuitive thinking impedes cooperation by decreasing cooperative expectations for pro-self but not for pro-social individuals. The Journal of Social Psychology, 163(1), 62–78. https://doi.org/10.1080/00224545.2022.2122768
Tucker, A. W. (1983). The Mathematics of Tucker: A Sampler. The Two-Year College Mathematics Journal, 14(3), 228. https://doi.org/10.2307/3027092
Von Neumann, J. & Morgenstern, O. (1944): Theory of Games and Economic Behavior, Princeton University Press.
Bildquellen
Bild von Geralt via pixabay.com
Schreibe einen Kommentar