▶︎ von Hannah Krüger, Merisa Muric und Bastian Rexhäuser
Die wohl größte Veränderung, die ein Unternehmen heutzutage durchlaufen kann, ist eine Fusion oder ein Unternehmenszusammenschluss. Schauen Sie sich in Ihrem Umfeld einmal um: Wie viele Personen kennen Sie, die einen solchen Wandel miterlebt haben? Allein in der DACH-Region haben im Jahr 2020 2.470 Unternehmenszusammenschlüsse stattgefunden. Doch auch nach sorgfältigem Abwägen scheitern viele Unternehmen mit der erfolgreichen Umsetzung dieses Vorhabens. Warum?
Ein Beispiel gefällig? Gerne…
Betrachten wir dafür einmal den Zusammenschluss zweier deutscher, global operierender Unternehmen im Jahr 2000, die vor der Fusion als direkte Konkurrenten in der gleichen Branche agierten. Als etwa gleich große Akteure beschäftigten die beiden Unternehmen zusammen rund 60.000 Mitarbeitende und erzielten einen Jahresumsatz von rund 15 Mrd. €.
Im Zuge des Zusammenschlusses fanden drei Hauptprozesse parallel zueinander statt:
- Fokus auf Kernkompetenzen
Geschäftsbereiche, die nicht unmittelbar zum Kerngeschäft gehörten, wurden verkauft. So lag der Fokus auf den Kernkompetenzen beider Unternehmen. Dabei wurde sich auch von Geschäftsbereichen getrennt, die zum Prestigegefühl der Mitarbeitenden beigetragen haben. - Aufbau neuer Hierarchien
Mit dem Zusammenschluss der Unternehmen etablierte die neue Geschäftsführung auch insgesamt eine neue Unternehmenshierarchie. Die mittlere Führungsebene hatte dabei keinen Einfluss auf die Entscheidungen. - Einführung von “Service Units”
Diese Serviceeinheiten für einzelne Geschäftsbereiche waren fortan für den Vertrieb und das Tagesgeschäft verantwortlich. Mit dieser Umstrukturierung wurden Teams auseinandergerissen und Mitarbeitende fanden sich in neuen, ihnen unbekannten Konstellationen wieder.
Vom “Wir”-Gefühl zum “Ich”-Gefühl
Im Nachhinein stellte sich dieser Unternehmenszusammenschluss als Fehlschlag heraus.
In Interviews mit Mitarbeitenden aus dem mittleren Management beider Unternehmen konnten zwei Faktoren identifiziert werden, die zum Scheitern des Zusammenschlusses beigetragen haben: eine durchgehende strukturelle und prozedurale Unsicherheit der Mitarbeitenden sowie eine fehlende gemeinsame Unternehmensleitlinie.
Die strukturelle und prozedurale Unsicherheit war beispielsweise darauf zurückzuführen, dass die Veränderung der bekannten Strukturen zu schnell erfolgte. Die entstandene Unsicherheit wurde schließlich verstärkt durch ein komplizierteres Kommunikationssystem und extrem bürokratische Strukturen und Prozesse. Vor allem Mitarbeitende der neuen Service Units blickten in eine unklare Zukunft und fühlten sich durch die Umstrukturierung herabgestuft und alleingelassen. Gerade in den Service Units herrschte zusätzlicher Leistungsdruck durch die Quantifizierbarkeit und Vergleichbarkeit der Arbeitsergebnisse. Infolgedessen nahm Konkurrenz untereinander zu und das Vertrauen zu Kolleg:innen und Vorgesetzten ab.
Zum Misstrauen trugen auch symbolische Handlungen bei, die als “leer” enttarnt wurden. Beispielsweise sprach die Geschäftsführung immer von einer Gleichberechtigung zwischen den Fusionspartnern; dies stellte sich aber durch die unbalancierte Besetzung des Aufsichtsrates als leeres Versprechen heraus. Das neue Unternehmen übernahm das Logo von einem der Fusionspartner. Die Mitarbeitenden des anderen Unternehmens konnten sich daraufhin nicht mit dem neuen Arbeitgeber identifizieren. Diese Aspekte führten weiterhin dazu, dass sich der Fokus der Mitarbeitenden vom Unternehmen als Ganzes auf kleine Teams und sich selbst verschob.
Auch weitere Aspekte trugen zum allgemeinen Missmut bei: Die Interviewten kritisierten den Fusionsprozess als stark verkürzt und zu wenig partizipativ; es wurden auch zu wenige Möglichkeiten zur Gestaltung der Unternehmenskultur geboten. Ebenso führte die Trennung von einer Bank, die nicht im Kerngeschäft verankert war, aber von den Mitarbeitenden als positiver Teil des Unternehmens betrachtet wurde, zu einem subjektiven Ansehensverlust.
Unsicherheiten, leere Symbolhandlungen und mangelnde Kontinuität führten schließlich dazu, dass sich die organisationale Identifikation der Mitarbeitenden auf einzelne Organisationseinheiten (beispielsweise die Arbeitsteams) oder ganz auf das Individuum verschob. Im Endeffekt wurde eine Identifikation der Mitarbeitenden mit der gesamten Organisation schlicht unmöglich.
Warum Identifikation eine Rolle spielt
Um zu erklären, warum die zuvor genannten Aspekte so tiefgreifend sind, schauen wir einmal mit einer sozialpsychologischen Theorie in die Psyche des Individuums: der Social Identity Theory von Henry Tajfel. Diese Theorie beschreibt die soziale Identität eines Individuums als den Teil des Selbstkonzepts, der auf dem Wissen über Mitgliedschaften in sozialen Gruppen und der dazugehörigen emotionalen Signifikanz basiert.
Diese sozialen Gruppen können sich anhand verschiedener Charakteristiken bilden. Tajfel zeigt in einem Experiment, wie niedrigschwellig die Gemeinsamkeiten von Individuen sein können, um sich als Gruppe zu verstehen. Dabei sollten die Teilnehmenden die Anzahl von präsentierten Punkten erraten. Diejenigen, die die Anzahl der Punkte überschätzt haben, bildeten eine Gruppe, genauso wie diejenigen, die die Punktzahl unterschätzt haben. Danach sollten die Teilnehmenden einen bestimmten Geldbetrag auf zwei Personen aufteilen, von denen eine Person zur eigenen Gruppe gehörte und die andere Person zur anderen Gruppe. Obwohl die einzige Information über die beiden Personen war, dass die Punktzahl über- oder unterschätzt wurde, wurde das Mitglied der eigenen Gruppe wohlwollender behandelt. Dieses Phänomen wird auch “minimal group” genannt.
Soziale Gruppen sind aber nicht immer “minimal groups”. Menschen schließen sich auch aufgrund deutlicherer Gemeinsamkeiten zu Gruppen zusammen: Sprache, Nationalität, Freizeitaktivitäten, Interessen, Geschlecht und Hautfarbe. Ob ein Individuum zu einer sozialen Gruppe gehört oder nicht, wirkt sich auf sein Verhalten aus. Menschen halten Mitgliedschaften zu Gruppen aufrecht, die positiv zu ihrer Identität beitragen. Umgekehrt werden sie (sofern möglich) eine Gruppe verlassen, sobald die Zugehörigkeit zu dieser sich nicht mehr positiv auf die eigene soziale Identität auswirkt.
Auch ein Unternehmen als Ganzes kann als eine – wenn auch sehr große – soziale Gruppe betrachtet werden, mit der sich Mitarbeitende identifizieren können. In diesem Kontext bilden sich zudem auch kleinere Gruppen durch die Einteilung in Teams und Abteilungen.
Um zur Frage zurückzukommen: Warum ist die Unternehmensfusion letztlich gescheitert?
Genau hier hat es bei der Fusion gehakt: Die Mitarbeitenden fanden es aus mehreren Gründen nicht mehr attraktiv, dem fusionierten Unternehmen anzugehören, da sie sich nicht mehr mit diesem identifizieren konnten. Maßgeblich dafür waren Unsicherheiten im neuen Arbeitsalltag und die Auflösung der alten Hierarchien, Abteilungen und Teams. Die Mitarbeitenden sahen keine Vorteile in den neuen Strukturen – eher im Gegenteil.
Damit die Mitarbeitenden die neuen Strukturen angenommen hätten, wären zwei Dinge nötig gewesen: eine Unternehmensleitlinie und die Möglichkeit, an Entscheidungen der Geschäftsführung zu partizipieren. Diese Voraussetzungen waren jedoch nicht gegeben, was zu wachsender Unzufriedenheit führte. So wurde die Zugehörigkeit zum Unternehmen nicht mehr als positiv bewertet, wie es vor der Fusion der Fall war. Mit der schwindenden Identifikation sanken auch das Commitment zu den Unternehmenszielen und die Bereitschaft, etwas zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. In Folge wendeten sich die Mitarbeitenden vom Unternehmen ab.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ein essenzieller Aspekt, der leider häufig nicht bei folgenschweren Entscheidungen, Umstrukturierungen oder Fusionen im Unternehmenskontext beachtet wird, ist die menschliche Komponente. Auch wenn die Zahlen stimmen: Wenn die Mitarbeitenden sich nicht mehr mit dem “neuen” Unternehmen identifizieren, ist die Fusion zum Scheitern verurteilt. Sprechen Sie doch gerne noch einmal die Personen in Ihrem Bekanntenkreis an, die eine Fusion erlebt haben: Wie zugehörig fühlen sich diese dem Unternehmen noch und wurde bei ihnen die menschlich-soziale Komponente während der Veränderung erfolgreich berücksichtigt?
Zum Behalten: Es ist wichtig, dass Mitarbeitende sich auch nach einem Unternehmenszusammenschluss fortwährend mit ihrem Arbeitgeber identifizieren – trotz aller erfolgender Änderungen.
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Literatur
Institute for Mergers, Acquisitions and Alliances (IMAA). (11. Februar, 2021). Anzahl der M&A Deals in der DACH-Region von 1991 bis 2020 [Graph]. In Statista. Zugriff am 06. Januar 2023, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/972508/umfrage/anzahl-der-munda-deals-in-der-dach-region/
Tajfel, H. (1974). Social identity and intergroup behaviour. Social science information, 13(2), 65-93.
Ullrich, J., Wiesecke, J. & van Dick, R. (2005). Continuity and Change in Mergers and Acquisitions: A Social Identity Case Study of a German Industrial Merger*. Journal of Management Studies, 42 (2), 1549-1569. https://doi.org/10.1111/j.1467-6486.2005.00556.x
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