▶︎ von Lukas Berg, Yannic Schadly und Jannik Schreier

Sind Sie schon einmal voller Hoffnungen in eine Verhandlung gestartet und sind anschließend unzufrieden aus dieser raus gegangen, da Sie nur ein für Sie enttäuschendes Ergebnis erzielen konnten? Dann sind Sie möglicherweise Opfer des sogenannten Ankereffekts geworden und wurden durch einen bestimmten Wert, eine Zahl oder Ähnliches beeinflusst. Im Folgenden soll dieser psychologische Effekt erklärt werden. Der Ankereffekt kann in vielen Bereichen des Lebens als auch des Berufs auftreten und Anwendung finden. Im Marketing und der Werbung, bei Preis-, Gehalts- oder anderen wirtschaftlichen Verhandlungen – auf welche sich in diesem Blog konzentriert wird – oder selbst bei Gerichtsverhandlungen konnten Einflüsse des Effekts in Studien nachgewiesen werden. Eines schon einmal vorweg: Der Ankereffekt kann als eine Art Superstar unter den Beeinflussungstechniken betitelt werden. Seien Sie also gespannt!

Der Ankereffekt als Heuristik

Der Ankereffekt ist eine Art von Heuristik, um Urteile zu fällen. Heuristiken können als innere Faustregeln bezeichnet werden, mit deren Hilfe man Urteile fällt. Der Vorteil an Heuristiken ist, dass diese oftmals zu recht guten Ergebnissen führen, jedoch kognitiv nicht zwingend anstrengend sind und die dahinterliegenden Denkprozesse meistens automatisch ablaufen. Der Ankereffekt wurde zuerst von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky in den 1960er Jahren umfassend beschrieben. Er kann als Angleichung oder auch Anpassung eines numerischen Urteils – beispielsweise über den Wert eines Produktes – an einen im Vorfeld gegebenen Vergleichswert definiert werden. Dieser Referenzwert wirkt wie ein Anker und zieht den Wert des Urteils oder der Schätzung in seine Richtung.

Theoretische Grundlage

Die theoretische Grundlage des Ankereffekts basiert auf der Annahme, dass Menschen bei der Einschätzung von Werten oder auch Wahrscheinlichkeiten nicht immer ökonomisch rational, also nach dem maximal möglichen Nutzen strebend, handeln. Dies zeigt sich auch in den Ideen der Prospect Theory, welche ebenfalls von Kahneman und Tversky entwickelt wurde und das Verhalten bzw. ganz konkret die Entscheidungsfindung bei Unsicherheit von Menschen in wirtschaftlichen Situationen beschreibt. Der Hauptgrund für die Irrationalität von Entscheidungen bei Unsicherheit sind hierbei kognitive Verzerrungen, also meistens unbewusstes und fehlerbehaftetes Wahrnehmen, Denken und Urteilen. Die Prospect Theory besagt, dass ein Mensch die Entscheidung treffen wird, bei der der erwartete, subjektive Gewinn mal der empfundenen Wahrscheinlichkeit, dass dieser Gewinn eintritt, am höchsten ist. Der Entscheidungsprozess lässt sich hierbei in zwei Schritte einteilen: Zuerst wird der Gewinn einer Variante subjektiv bewertet und danach die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Variante eingeschätzt. Auf diese zwei Schritte kann auch der Ankereffekt einwirken und somit die Entscheidungsfindung beeinflussen. So lässt beispielsweise das bekannte Angebot “Nimm 3, zahle 2” Produkte subjektiv viel attraktiver und günstiger wirken. Im ersten Schritt wird hierbei also der subjektive Gewinn höher bzw. der subjektive Verlust niedriger eingeschätzt. Im zweiten Schritt kann der Ankereffekt hingegen Sicherheit geben und die geschätzte Eintrittswahrscheinlichkeit eines Gewinnes erhöhen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn Freunde in einer Lotterie gewinnen und man selbst daraufhin die Wahrscheinlichkeit eines Gewinnes in der Lotterie subjektiv höher einschätzt. Der Ankereffekt kann also bei der Entscheidungsfindung innerhalb der Prospect Theory als ein möglicher Grund angesehen werden, weshalb Menschen von rationalen Entscheidungen abweichen. Dies trifft auch auf die Entscheidungsfindung in Verhandlungen zu, wie wir Ihnen in diesem Blog erklären wollen.

Der Ankereffekt ist sehr stabil in seiner Wirkung

Das Besondere am Ankereffekt ist, dass dieser sehr robust sowie stabil in seiner Wirkung ist und man ihn nicht vollständig eliminieren, sondern höchstens minimieren kann. Die Kenntnis und Informationen über den Effekt, Warnungen, sich nicht beeinflussen zu lassen und auch finanzielle Belohnungen für ein möglichst genaues Urteil zeigen keine Wirkung zur Eliminierung des Effekts. Selbst Experten mit Fachwissen oder Personen mit Erfahrung sind vor dem Effekt nicht geschützt und lassen sich durch einen Anker in ihrem Urteil beeinflussen.

Weshalb der Ankereffekt wirkt und was dagegen helfen kann

Der Ankereffekt und der vorgegebene Ausgangswert führen dazu, dass man sich überlegt, ob der tatsächliche Wert in der Nähe des Ankers liegen könnte und Gründe sowie Umstände gesucht bzw. abgerufen werden, die dies als möglich erscheinen lassen, während Umstände, die gegen den Ankerwert sprechen, vernachlässigt werden. Eine mögliche Gegenmaßnahme ist, dass man aufgefordert wird, Gründe zu nennen, die gegen den Ankerwert sprechen. So kann der Ankereffekt verringert, allerdings nicht vollständig eliminiert werden. 

Empirische Untersuchung des Ankereffekts

Die Auswirkungen des Ankereffekts in Verhandlungen untersuchten Galinsky und Mussweiler (2001) in ihrer Studie “First Offers as Anchors: The Role of Perspective-Taking and Negotiator Focus”. In einer Reihe von Versuchen mit jeweils verschiedenen Instruktionen sollten MBA-Studierende über den Verkauf einer fiktiven pharmazeutischen Fabrik verhandeln.
Grundsätzlich konnten sie empirisch belegen, dass das Unterbreiten des ersten Angebots einen erheblichen Vorteil in Verhandlungen hervorbringt. Wurde von der nachfragenden Seite das erste Gebot gemacht, wurde sich im Schnitt auf einen Preis von 19,7 Mio. $ geeinigt. Machte dagegen die anbietende Partei das erste Gebot wurde durchschnittlich ein Preis von 24,8 Mio. $ erzielt.
Darüber hinaus konnten sie nachweisen, dass die Taktiken des Perspektivwechsels und des Selbstfokus die Auswirkungen des Ankereffekts vermindern können. Besonders hilfreich zur Verminderung des Ankereffekts ist die Konzentration auf Informationen, die gegen den gesetzten Ankerwert sprechen. Ein Beispiel hierfür wäre die eigene Preisgrenze zu nennen. Auch die Fokussierung auf die eigenen Verhandlungsziele kann dabei helfen, sich vom Ankereffekt nicht (so stark) beeinflussen zu lassen.
Konzentrierten sich die Versuchsteilnehmer:innen mithilfe der genannten Taktiken dagegen auf Informationen, die für den Wert des gesetzten Ankers sprachen, so ließ sich keine Verminderung des Ankereffekts feststellen. 

Tipps für Ihre kommende Verhandlungssituation

Da wie vorangegangen beschrieben der Ankereffekt und seine Wirkung sehr robust sind und man ihn nicht wirklich eliminieren und nur schwierig minimieren kann, sollte man ihn vielmehr zu seinem Vorteil nutzen. Versuchen Sie also für Ihre Verhandlungssituationen die folgenden Tipps zu verinnerlichen:

  1. Setzen Sie sich hohe Ziele!
    Sie werden zwar tendenziell subjektiv enttäuschter aus der Verhandlung herausgehen, da man nicht immer seine gesetzten Ziele in einer Verhandlung vollständig erreichen kann. Allerdings erzielen Sie objektiv betrachtet bessere Ergebnisse.
  2. Machen Sie das erste Angebot!
    Versuchen Sie in Ihrer Verhandlung das erste Angebot zu machen, denn so setzen Sie den Anker und verzerren auf diesem Weg möglicherweise das numerische Urteil Ihrer Gegenpartei zu Ihren Gunsten.
  3. Setzen Sie den Wert des Ankers hoch an!
    Versuchen Sie, den Anker möglichst hoch zu setzen, denn das macht Sie zwar für Ihre Gegenpartei nicht zwingend sympathisch, dafür beeinflussen Sie aber das Ergebnis zu Ihrem Vorteil. Übertreiben Sie es jedoch nicht! Denn ein zu hoher Anker kann dazu führen, dass die Gegenpartei schnell und leicht Gründe findet, die gegen diesen hohen Wert sprechen und schlussendlich die Verhandlung scheitert.

Nutzen Sie den Ankereffekt, aber seien Sie auch vor ihm gewappnet

Der Ankereffekt wird, wie eingangs erwähnt, oftmals als Superstar unter den Beeinflussungstechniken bezeichnet, denn es ist fast unmöglich, den Effekt vollständig zu eliminieren. Das “Ankern” kann ein mächtiges Werkzeug zur Erreichung Ihrer Ziele in Verhandlungen sein. Nutzen Sie ihn also und versuchen Sie, das erste Gebot zu machen. Ist dies nicht möglich, suchen Sie für sich Gründe, die gegen die Plausibilität des Ankerwerts der Gegenseite sprechen. So kann für Sie die kommende Verhandlungssituation ein voller Erfolg werden!

 

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Literatur

Galinsky, A. D. & Mussweiler, T. (2001). First offers as anchors: the role of perspective-taking and negotiator focus. Journal of personality and social psychology, 81(4), 657.

Jonas, K., Stroebe, W., Hewstone, M., & Pendry, L. (2007). Soziale Kognition. Sozialpsychologie: Eine Einführung, 111-145.

Jungermann, H., Pfister, H.-R. & Fischer, Katrin. (2010). Die Psychologie der Entscheidung. Springer.

Kahneman, D., & Tversky, A. (2013). Prospect theory: An analysis of decision under risk. In Handbook of the fundamentals of financial decision making: Part I (pp. 99-127).

Mussweiler, T., Strack, F., & Pfeiffer, T. (2000). Overcoming the inevitable anchoring effect: Considering the opposite compensates for selective accessibility. Personality and Social Psychology Bulletin, 26(9), 1142–1150.

Ritov, I. (1996). Anchoring in simulated competitive market negotiation. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 67(1), 16–25. 

Strack, F., & Mussweiler, T. (1997). Explaining the enigmatic anchoring effect: Mechanisms of selective accessibility. Journal of Personality and Social Psychology, 73(3), 437–446.

Wilson, T. D., Houston, C. E., Etling, K. M., & Brekke, N. (1996). A new look at anchoring effects: Basic anchoring and its antecedents. Journal of Experimental Psychology: General, 125(4), 387–402.

Wright, W. F., & Anderson, U. (1989). Effects of situation familiarity and financial incentives on use of the anchoring and adjustment heuristic for probability assessment. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 44(1), 68–82.

Bildquelle

List, F. (2020, 09.Juli). Mit dem Ankereffekt Kunden gewinnen. Heise RegioConcept. https://www.heise-regioconcept.de/online-marketing/ankereffekt