von Ronja Gronemeyer
Seit drei Jahren ermöglicht ein magischer Winkel neue 2D Materialien, die verblüffenderweise etwas mit Seidenkleidern und Fotografie verbindet. Lass dich von seltsamen Quanteneffekten und Supraleitung faszinieren und erfahre wie an der Universität Bremen gleich dreifach an diesen neusten 2D Materialien geforscht wird.
2D Materialien sind atomar-dünne Schichten eines Kristalls, die als Einzellagen vollkommen andere physikalische Eigenschaften aufweisen, als in einer dreidimensionalen Struktur. Als wäre dies nicht bemerkenswert genug, entdeckten Forschende 2018 bizarre Effekte, als sie zwei dieser Schichten aufeinander legten und um einen kleinen Winkel von etwa 1.1 Grad verdrehten.
Die verdrehten Schichten überlagerten sich zu einem sogenannten Moirémuster.
Moirémuster
Moirémuster entstehen, wenn sich mehrere regelmäßige Raster überlagern und so neue Strukturen bilden. Neben den beiden Ursprungsmustern beeinflusst auch der Winkel beider Lagen zueinander diesen optischen Effekt.
Moirémuster können ungewollt beim Drucken, Fernsehen oder Fotografieren auftreten, beispielsweise, wenn sich die Struktur des Geräts, mit einer regelmäßigen feinen Struktur des abgebildeten Motivs überlagert. Habt ihr schon mal versucht, den Computer-Bildschirm mit dem Smartphone abzufotografieren und euch über das verzerrte Bild geärgert? Das ist das Ergebnis des Moiréeffekts.
Der Moiréeffekt kann aber auch gezielt genutzt werden, um durch übergeordnete Strukturen die Illusion von Bewegung zu schaffen. Wenn zum Beispiel zwei Lagen Stoff mit leicht verschobenem Webmuster übereinander gelegt werden, entsteht ein Moiréstoff.
Damit das Licht gut hindurch fällt, wird meist dünner Stoff, wie Seide, verwendet. In Europa sind Moiréstoffe etwas aus der Mode gekommen und werden eher selten z.B. für Schärpen oder Vorhänge verwendet. In anderen Kulturen sind sie noch immer Teil traditioneller Gewänder.
Bilagen von Graphen – ein doppeltes Wundermaterial!
Auch zwei verdrehte Lagen Graphen können eine Moiré-Überlagerungen bilden, die kurz TBG (‚Twisted-Bilayer of Graphene‘) genannt wird [An der Uni Bremen forscht hierzu die AG von Prof. Dr. Tim Wehling].
TGBs verhalten sich wie ein völlig neues zweidimensionales Gitter, mit gänzlich anderen elektronischen Eigenschaften als eine Monolage Graphen [siehe auch unseren Artikel über Graphen].
Seltsame Quantenphänomene
TGBs erlauben Forschenden, seltsame Quanteneffekte und damit fundamentale Theorien der Festkörperphysik im Experiment zu untersuchen.
Ein Beispiel eines solchen seltsamen Quantenphänoms sind stark korrelierte Elektronen. Elektronen sind quantenmechanische Teilchen, die gleichzeitig Wellen- und Teilcheneigenschaften haben. Dies wird als Welle-Teilchen Dualismus bezeichnet. Wirklich vorstellen können wir Menschen uns das nicht, damit rechnen aber schon [Quelle]!
Für quantenmechanische Teilchen gelten ganz andere Regeln als für klassische Teilchen.
Würden wir 2 Tennisbälle nebeneinander legen, wäre dem einen die Anwesenheit des anderen herzlich egal.
Betrachten wir jedoch zwei Elektronen, kann die Anwesenheit eines Elektrons ein anderes Elektron stark beeinflussen! Im Bändermodell können sich Elektronen nur in bestimmten, diskreten, Energiezuständen aufhalten [siehe auch unseren Artikel über TMD Materialien].
Ein bestimmter Zustand kann dabei nur einmal besetzt sein, wie ein Sitz in der Straßenbahn. Eine starke Korrelation von Zuständen verbietet zusätzlich, dass der Nachbarsitz besetzt wird. Wir können uns das wie die Hygienevorschriften während der Pandemie vorstellen: Neben jedem Sitzplatz muss ein Platz unbesetzt bleiben. Wenn wir von oben auf die Passagiere blicken, ergibt sich so ein regelmäßiges Muster.
Fehlt ein Elektron auf einem eigentlich zu besetzenden Platz, wird von einem „Loch“ gesprochen. Das Elektron, welches sich woanders aufhält, und das freie Loch bilden zusammen ein Elektron-Loch-Paar. Dies wird auch Exziton genannt und ist ein sogenanntes Quasiteilchen. Gemeinsam sind das negativ geladene Elektron und sein positiv geladenes ‚Loch‘ neutral, sie werden daher von anderen geladenen Teilchen weniger abgestoßen.
Genaugenommen gibt es auch Materialien, die nach diesem Bändermodell eigentlich leitend sein sollten, es im Experiment aber einfach nicht sind! Schuld sind die Elektronen, die sich untereinander abstoßen.
Die räumlich stark eingeschränkten Elektronen, sind stark lokalisiert. Das erhöht die Abstoßung der Elektronen und verändert damit die theoretischen Energien des Bändermodells, ein sogenannter Mott-Isolator entsteht.
Mit quasi zwei dimensionalen Oberflächenschichten lässt sich gleich eine ganze Klasse dieser Mott-Isolatoren realisieren!
Umgekehrt kann ein Isolator zu leiten beginnen, wenn externer Druck die Bandlücke zusammenstaucht, bis Leitungs- und Valenzband überlappen. Theoretisch kann somit jedes Metall leiten, es muss nur ausreichend Druck ausgeübt werden!
Was ist ein Quasiteilchen?
Quasiteilchen können kleine Störungen oder Unregelmäßigkeiten in einem Material sein, die sich wie ein Teilchen verhalten. Vereinfacht können wir Blubberblasen in einer Sprudelwasserflasche betrachten. Eigentlich sind die Blasen nur ein Phänomen der Flüssigkeit: CO2 ersetzt ein kleines Wasservolumen. Trotzdem besitzt die einzelne Blase einige teilchenartige Eigenschaften: Ihr kann eine Größe, die runden Form und zu jeder Zeit ein Ort zugeordnet werden. Wir können beobachten, wie sie sich durch die Flasche bewegt und sogar mit anderen Bläschen zusammenstößt.
Das Exziton-Quasiteilchen lässt sich in den zweidimensionalen TMDs realisieren, die wir aus dem letzten Artikel kennen. Durch geschicktes Erzeugen von Moiréstrukturen, versuchen Forschende die energetischen Zustände dieser Elektron-Loch-Paare zu kontrollieren und zu manipulieren.
Zum Beispiel wird, wenn das Elektron und sein Loch sich wie beim Laser wieder vereinen, ein Photon abgestrahlt.
Nun können Forschende dieses Photon, also das Lichtteilchen, zwischen zwei Spiegeln einfangen, so dass es nicht entkommen kann. Da der Abstand der Spiegel ungefähr einem Mikrometer, also ungefähr der Wellenlänge des eingeschlossenen Lichtes entspricht, wird dieser Aufbau als Mikrokavität bezeichnet. Trifft das eingefangene Photon dann wieder auf ein Elektron, bildet sich erneut ein Elektron-Loch-Paar (Exziton), welches innerhalb der Mikrokavität als Polaritron bezeichnet wird. Das kann theoretisch unendlich so weiter gehen!
Werden die Moirélagen in eine Mikrokavität eingeschlossen, spüren die Ladungsträger im Halbleiter ein vielfachverstärktes elektromagnetisches Feld. Die Wechselwirkung kann so stark werden, dass ein neues Quasiteilchen entsteht: Ein Interlagen-Moiré-Exziton-Polariton. Dessen Eigenschaften können über die Mikrokavität und die Exzitonen sehr gut kontrolliert werden. Damit sind neuartige Materiezustände denkbar, z.B. einen Laser, der ohne Licht funktioniert! [An der Uni Bremen forscht hierzu die Arbeitsgruppe von Dr. habil. Gies]
Elektronen-Blockaden und Supraleitung
Normalerweise hat die Graphit-Monolage Graphen hervorragende Leitungseigenschaften, welche es sogenannten freien Elektronen verdankt, die nicht an ihren Platz gebunden sind und sich gut bewegen können.
Liegen aber in TGBs Atome zweier Schichten direkt übereinander, sammeln (‚lokalisieren‘) sich dort viele der freien Elektronen und blockieren sich gegenseitig: TGB wird zu einem Mott-Isolator [siehe Box 1].
Das Paradoxe: Werden nun weitere Elektronen hinzugefügt, blockieren diese nicht zusätzlich, sondern heben den inneren Widerstand vollkommen auf. Ein Supraleiter entsteht, der quasi verlustfrei Strom leitet [Quelle].
Diese Grundlagen könnten es zukünftig ermöglichen, den Energieverlust in Stromleitungen zu reduzieren und damit Umweltbelastung und Kosten zu verringern [Quelle].
Neue 2D Materialien – neue Kooperationen
Bei all den vielversprechenden Eigenschaften der 2D-Materialien ist vielleicht am spannendsten, dass ihre Erforschung Arbeitsgruppen verschiedenster Forschungsrichtungen zusammen bringt. In Bremen zum Beispiel interessieren sich Halbleiteroptikexpert*innen [AG Jahnke, AG Gies] für dieselben Materialien wie Expert*innen für Supraleitung und starke Korrelation [AG Wehling].
Bremen bildet in der Forschung zu neuen 2D-Materialien einen theoretischen Kompetenzschwerpunkt: Im Rahmen eines, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms waren gleich drei Arbeitsgruppen mit ihren Projektanträgen erfolgreich. Die Bremer Projekte liefern im Wesentlichen die Theorie, auf die dann die jeweiligen experimentell forschenden Partnerinstitute in Münster, Berlin, Regensburg oder München aufbauen. Alle drei Gruppen sind Teil des Graduiertenkollegs ‚Quantum Mechanical Materials Modelling‘ [siehe Box], welches zum Erfolg der Projekte beigetragen hat.
‚Dreimal ist Bremer Recht‘ und unsere Uni ist ganz vorne mit dabei, neue ‚2D- Materialien‘ zu erforschen [zur Pressemitteilung]. Wir sind gespannt, womit sie uns als Nächstes verblüffen!
Beschreibung der drei Bremer Projekte am Institut für theoretische Physik:
Das Projekt von Dr. habil. Chistopher Gies nimmt die Exzitonen-Licht Wechselwirkung in Moiréstrukturen genauer unter die Lupe und ist Theorieexperte für das Interlagen-Moiré-Exziton-Polariton. Indem in den Moirématerialien lokalisierte Exitronen erzeugt werden und damit gezielt kollektive Emissionseffekte herbeigeführt werden, kann es zu beispielloser ‚Superstrahlung‘ kommen. Gemeinsam mit experimentellen Spezialist*innen in Oldenburg und Berlin liegt der Fokus auf der Polaritron Physik und (Mikro)kavitäts-Quanten-Elektrodynamik. Zu deren Erforschung werden eine Vielzahl an Methoden verwendet, zum Beispiel das gezielte Stapeln von 2D-Lagen, verschiedene spektroskopische Verfahren oder mikroskopische Modellierungen.
Das Projekt von Dr. Alexander Steinhoff [Link zur Website] aus der Halbleiter-Theoriegruppe untersucht unerforschte, komplexe Vielteilchenzustände und wechselwirkende Quantengase in Heterostrukturen aus halbleitenden Übergangsmetall-Dichalkogeniden (TMDs). Dabei sollen Vielteilchenrechnungen zu elektronischen und optischen Eigenschaften den Studien der experimentellen Partner in Regensburg und München den Weg weisen. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Entwicklung eines Modells für niedrig-energetische Elektronenzustände in van-der-Waals-Heterostrukturen, auf dessen Grundlage die Vielteilchenmethoden dann angewendet werden können.
Das Projekt zu dem Prof. Tim Wehlings Gruppe die Theorie liefert [Link zur Website], hat es sich zum Ziel gesetzt, Quantenphasen von dotierten Moiré TMD Lagen, zu realisieren, zu verstehen und ihre Eigenschaften zu kontrollieren. Es stehen z.B. Isolatoren, Elektron-Elektron- oder Elektron-Proton-Wechselwirkungen und verschiedene Arten der Supraleitung im Fokus, die durch Korrelationseffekte in verdrehten Moirédoppellagen entstehen. Die entstehenden Elektronenzustände werden in Zusammenarbeit mit einer experimentellen Gruppe in Münster erforscht und modelliert.
Quellen:
(1) https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/news/2019/unter-druck-wird-graphen-zum-supraleiter/
(3) https://www.dfg.de/foerderung/programme/koordinierte_programme/graduiertenkollegs/index.html
(4) https://photovoltaiksolarstrom.com/photovoltaiklexikon/bandluecke/
Abbildungen:
(1) Titelbild: QM3: https://rtg-qm3.de/
(2) Abb. 1: https://de.wikipedia.org/wiki/Moir%C3%A9-Effekt
(3) Abb. 2: Seidenkleid: https://unsplash.com/photos/XHkoYbSarCk
(4) Abb. 2: Papageiengefieder: https://unsplash.com/s/photos/moire
(5) Abb. 2: rote Schärpe: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Moireband.jpg
(6) Abb. 3: https://pixabay.com/de/photos/graphen-technologie-2d-wissenschaft-3193185
(7) Abb. 5: https://th.wikipedia.org/wiki/%E0%B9%84%E0%B8%9F%E0%B8%A5%E0%B9%8C:Dubai_Metro_Gold_Section.JPG
(8) Abb. 6: https://unsplash.com/photos/rJE8oIF4uco
(9) Abb. 7: https://unsplash.com/photos/r6tyWx_Mm9g
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