1. Im Rahmen des Projekttages entscheidet sich Sandra entgegen ihr eigentliches Interesse und wählt die Mandala-Aufgabe. Betrachtet man nun ihr Verhalten vor dem Hintergrund der „grundlegenden psychologischen Bedürfnisse“ nach Deci und Ryan (1993), so lässt sich eine mögliche Erklärung für ihr handeln finden. Die psychologischen Bedürfnisse werden von Deci und Ryan in drei Kategorien aufgeteilt, die für die Motivation von Bedeutung sind: Kompetenzerleben, Autonomie und soziale Eingebundenheit (vgl. Deci & Ryan 1993, S.229). Bei Sandra kommt meiner Meinung nach das letzte zum Tragen. Sie befürchtete eventuell, sich von den anderen Mädchen zu distanzieren und so ihre soziale Eingebundenheit zu verlieren, wenn sie sich der Aufgabe widmet, die eher von den Jungen aus der Klasse präferiert wird.
2. Konterkariert wird diese Situation leider dadurch, dass lediglich eine „typische Jungenaufgabe“ und eine „typische Mädchenaufgabe“ gestellt wurde. Hierdurch fühlen sich die Schüler*innen quasi gezwungen, sich der „typischen Aufgabe“ zuzuwenden, um ihre soziale Eingebundenheit nicht zu verlieren oder aus der Menge herauszustechen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Verhalten von Sandra, welches stellvertretend auf die gesamte Klasse umgemünzt werden könnte.
3. Durch die strikte Aufteilung in Jungen/Mädchen Paare wird zwar versucht, die Kompetenzunterschiede auszugleichen, aber leider kann dies auch einige negative Aspekte mit sich bringen. Abgesehen davon, dass es organisatorisch schwierig werden kann, wenn zu viele Jungen/Mädchen in einer Klasse sind und keine genaue Aufteilung in Paare klappt (welche Schüler*innen dürfen dann die Ausnahme dieser Regel bilden? Wie kann man es gerecht aufteilen? Dürfen sich die Jungen und Mädchen Paare selbst aussuchen? etc.), kann es zusätzlich dazu führen, dass sich die Mädchen unterschätzt fühlen. Oder aber die Jungs ergreifen das Zepter und leiten strikt das Vorgehen bei den einzelnen Arbeiten, weil sie sich durch diese Auswahl bestärkt fühlen. Viel wichtiger wäre es doch, jede*n Schüler*in positiv darin zu bestärken, es selbst zu schaffen (vgl. Murmann 2022, F.22).
4. Spannend fände ich die Erforschung, wie Lehrkräfte genderübergreifend Interessen in Sachunterricht fördern können, sodass die Schüler*innen frei von Angst davor mitarbeiten können, ihre soziale Eingebundenheit zu verlieren. Hierfür wäre eine Schüler*innen Befragung ein interessanter Einstieg.
Literaturverzeichnis:
Deci, Edward; Ryan, Richard 1993: Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und die Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 39, S. 223-238.
Murmann, Lydia (2020): Welche Heterogenitätsdimensionen spielen im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht eine besondere Rolle? Universität Bremen, 2020.