von Annika Rodenhauser
Schreiben gilt als Schlüsselkompetenz in Studium, Wissenschaft sowie der Mehrheit der Berufe. Nicht zuletzt für IngenieurInnen und NaturwissenschaftlerInnen spielen entsprechende Kompetenzen längst eine entscheidende Rolle. Sowohl in der Abschlussarbeit als auch im späteren Berufsleben warten verschiedenste Schreibtätigkeiten. Zum Aufbau und Erwerb wissenschaftlicher Schreibkompetenz bietet die ‚Schreibwerkstatt MINT’ Studierenden, Forschenden und Lehrenden ein vielschichtiges Konzept mit individuell kombinierbaren Einzelmaßnahmen. Einerseits werden für Studierende (sowie auch Forschende und Lehrende) offene Beratungssprechstunden und Workshops zum wissenschaftlichen sowie populärwissenschaftlichen Schreiben angeboten. Andererseits besteht für Lehrende die Möglichkeit zur Integration von Schreibmodulen in bestehende Lehrveranstaltungen sowie zur Teilnahme an Fortbildungen zum ‚Schreiben in der Lehre’.
Warum eine Schreibwerkstatt für MINT-Fächer?
Für WissenschaftlerInnen aller Disziplinen ist Schreiben existentiell, denn wissenschaftliche Erkenntnis wird fast ausschließlich schriftlich kommuniziert. Luhmann (1992, zitiert nach Franke & Lahm 2016) geht sogar so weit zu behaupten, dass anspruchsvolles und anschlussfähiges Denken nicht ohne Schreiben möglich sei. Somit stellt wissenschaftliche Schreibkompetenz letztlich auch eine notwendige Voraussetzung zur Partizipation am forschenden Lernen, welches essentieller Bestandteil des ForstAintegriert-Konzepts ist, dar. Doch nicht nur im Rahmen der universitären Erstausbildung in den MINT-Fächern spielt das wissenschaftliche Schreiben eine wichtige Rolle. Auch im beruflichen Umfeld werden von NaturwissenschaftlerInnen und IngenieurInnen mehr und mehr schriftsprachliche Kompetenzen erwartet. Diese gelten mittlerweile als Voraussetzung für generelle Berufs- und im Besonderen für Aufstiegschancen (van Gemert & Woudstra 1997; Jakobs & Schindler 2006). Im universitären Umfeld gehört in den Naturwissenschaften beispielsweise das Schreiben von ‚Papern’ zum Alltag und die zum Verfassen benötigten Schreibkompetenzen somit zum Handwerkszeug. In für NaturwissenschaftlerInnen und IngenieurInnen typischen Berufsfeldern spielen hingegen Projektanträge und -berichte, Dokumentationen oder Gutachten eine wichtige Rolle. Darüber hinaus wird von ArbeitnehmerInnen die Fähigkeit zur überzeugenden schriftlichen Kommunikation mit Geschäftspartnern oder anderen Abteilungen erwartet.
Im Gegensatz zu diesen Anforderungen in Wissenschaft und Beruf wird im Studium der MINT-Fächer aber traditionell vergleichsweise wenig geschrieben. Dies führt dazu, dass die erste große Schreibaufgabe, die auf Studierende wartet, häufig erst die Bachelorarbeit ist. Wo in den Geisteswissenschaften bereits in den ersten Semestern Hausarbeiten zu verfassen sind, die schreibtechnisch bereits auf die größeren Schreibaufgaben vorbereiten, ist diese Art der Prüfungsleistung in den MINT-Fächern eher selten anzutreffen. Wenn geschrieben wird, sind vorrangig Textsorten wie Protokolle oder Projektberichte gefragt. Somit besteht das zentrale Anliegen der ‚Schreibwerkstatt MINT’ in der fachspezifischen Unterstützung Studierender, Forschender und Lehrender der Fachbereiche 1 bis 5 in allen Fragen des wissenschaftlichen Schreibens sowie der Förderung naturwissenschaftlich-technischer Schreibkompetenz.
Konzept der Schreibwerkstatt MINT
Um auf die besonderen Anforderungen der MINT-Fächer einzugehen, baut das Angebot der Schreibwerkstatt MINT auf drei speziell konzipierten ,Säulen‘ (Abbildung 1) auf. Säule 1 besteht im Kern aus einem offenen Beratungs- bzw. Sprechstundenangebot, welches allen Studierenden der Fachbereiche 1 bis 5, aber auch Forschenden und Lehrenden, kostenfrei und unkompliziert zur Verfügung steht. Im Sinne des Modells der Schreibberatung nach Grieshammer et al. (2013) versteht sich dieses Angebot als eine freiwillige Unterstützungsmaßnahme für Studierende, die ihnen Raum für konzentrierten Austausch und Fragen sowie zur Besprechung möglicher Sorgen bietet. Ziel eines Beratungsgesprächs soll stets die gemeinsame Entwicklung individuell passender Schreib- und Arbeitsstrategien sein. Durch die Beratenden wird also nicht unmittelbar in den Text eingegriffen. Es geht vielmehr darum, durch aktives Zuhören, Hinweise und Textfeedback ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ zu leisten (ebd.). Doch ist die Schreibberatung nicht ausschließlich für Studierende mit Schreibschwierigkeiten gedacht, sondern soll allen Studierenden Raum zur Reflektion des eigenen Textes und der eigenen Arbeitsweise bieten. Um jeweils eine bedarfsgerechte Beratung anbieten zu können, soll zusätzlich zur von einer Dozentin durchgeführten Sprechstunde ein Netzwerk von Schreibcoaches bzw. Peer-Tutoren aufgebaut werden. Diese sollen, dem Konzept des kooperativen Lernens (Bruffee 1973, 1978) folgend, hauptsächlich die Möglichkeit zum Austausch über den eigenen Text bieten. Zwischen Schreibcoach und Ratsuchendem bestehen keine Hierarchien, so dass in diesem Format ein gleichberechtigter Austausch erfolgen kann, bei dem der Schreibende stets Experte für seinen eigenen Text und besonders seines Inhalts bleibt (Grieshammer et al. 2013). Die Ausbildung der Schreibcoaches erfolgt in Kooperation mit der Studierwerkstatt. Schon in dieser Phase wird den Coaches, neben der Vermittlung allgemeiner Methoden und Techniken zum Führen von Coachinggesprächen sowie zu Schreibprozessen und -techniken, ein dezidiertes Wissen über die Besonderheiten des Schreibens in den MINT-Fächern vermittelt.
Im Rahmen von Säule 2 werden Seminare, Workshops sowie Schreibveranstaltungen
(z.B. Schreibnächte oder Schreibgruppen) speziell für den MINT-Bereich angeboten. Das Seminar- und Workshopangebot setzt sich hierbei aus neun Blöcken mit unterschiedlichen Schwerpunkten des wissenschaftlichen (und populärwissenschaftlichen) Schreibens zusammen (Abbildung 2). Jeder Block besteht in der Regel aus einer 4-stündigen Veranstaltung. Durch die Teilnahme an allen Blöcken (und Abgabe schriftlicher Prüfungsleistungen) können insgesamt 6 CP erworben werden. Die Veranstaltungen können aber auch nach Wahl untereinander kombiniert werden. So besteht beispielsweise auch die Möglichkeit, ein Basismodul (Blöcke 2, 3, 4 und 5) oder ein Aufbaumodul (Blöcke 6, 7, 8 und 9) zu belegen, für das jeweils 3 CP erworben werden können. Genauere Informationen können den Modulbeschreibungen auf der Website der Schreibwerkstatt MINT (www.uni-bremen.de/schreibwerkstatt-mint) entnommen werden.
Für Lehrende besteht darüber hinaus die Möglichkeit, einzelne Blöcke in Lehrveranstaltungen einzubetten. Durch Schreibaufgaben lässt sich so einerseits bereits die benötigte wissenschaftliche Schreibkompetenz für Abschlussarbeiten fördern, andererseits verdeutlichen sie, dass Schreiben einen integralen Part von Forschung darstellt. Letztlich können Schreibaufgaben so dazu genutzt werden, Aspekte des forschenden Lernens noch stärker in die Lehre zu integrieren (Riewerts 2016). Abbildung 3 zeigt Ideen zur Einbettung von Schreibblöcken in Lehrveranstaltungen bzw. Projekte, die sich am Zyklus des forschenden Lernens (Huber 2015) orientieren.
Als Pilotprojekt findet ab dem Wintersemester 2017/18 eine entsprechende Einbettung im Rahmen der neuen forschungsbetonenden Studienoption im Masterstudiengang „Systems Engineering“ statt. Die Blöcke zum wissenschaftlichen Schreiben sind hier in der das Forschungsprojekt begleitenden Veranstaltung „Forschungsgrundlagen“ verortet. Bei Interesse an ähnlichen Kooperationen können sich Lehrende jederzeit gerne an die Schreibwerkstatt MINT wenden.
Zur gezielten Vorbereitung z.B. auf die Bachelorarbeit werden des Weiteren regelmäßig sogenannte ‚Crashkurse’ angeboten, in denen Inhalte verschiedener Blöcke in kompakter Form vermittelt werden. Der erste „Crashkurs Bachelorarbeit in den MINT-Fächern“ wird am 03. und 10. November 2017 stattfinden. Die Inhalte dieser Veranstaltung sollen gezielt auf das Verfassen der Bachelorarbeit im MINT-Bereich vorbereiten bzw. dieses unterstützen. So sollen einerseits die Studierenden handlungsfähig gemacht werden sowie andererseits die Lehrenden bei der Vermittlung und Korrektur von logischer Struktur, Argumentationsstrategie sowie Grammatik und Rechtschreibung entlastet werden, um mehr Freiräume für die Konzentration auf fachliche Inhalte zu schaffen (vgl. Bornschein 2013). Ebenfalls im November (23.11.2017) wird die erste „Kleine Nacht des Schreibens in den MINT-Fächern“ in Kooperation mit der Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) stattfinden. Hier soll Studierenden, Forschenden und auch Lehrenden einerseits Raum zum konzentrierten Schreiben an eigenen Schreibprojekten sowie andererseits die Möglichkeit zur Teilnahme an Kurzvorträgen (z.B. Kurzeinführung in RefWorks, Zitieren & Vermeidung von Plagiaten) geboten werden. Begleitet wird das Programm von Beratungsmöglichkeiten durch die Schreibwerkstatt MINT und die SuUB sowie einem Sport- und Entspannungsangebot.
Säule 3 des Konzepts (Abbildung 1) sieht vor, Fortbildungen für Lehrende zunächst zum Thema ‚Schreiben in der Lehre’ anzubieten. So soll einerseits das forschende Lernen in den Fachbereichen 1 bis 5 unterstützt werden, indem wissenschaftliche Schreibkompetenzen sowie ein Bewusstsein dafür, dass wissenschaftliches Schreiben als integraler Teil der Forschung zu verstehen ist, bereits in den ersten Semestern (Riewerts 2016) lehrveranstaltungsimmanent vermittelt werden. Lehrende sollen in den Fortbildungen sowohl neue Ideen zur Einbindung verschiedenster Schreibaufgaben in die Lehre erhalten als auch die Möglichkeit, sich mit KollegInnen über bereits bestehende Konzepte und Praktiken in den Fächern auszutauschen. Bei den Lehrenden soll so letztlich auch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Schreiben nicht ‚nur’ ein freiwilliges Zusatzangebot für die Studierenden sein sollte, sondern eigentlich elementarer Bestandteil des Fachstudiums (Franke & Lahm 2016) ist. Denn wie bereits eingangs erwähnt, wird wissenschaftliche Erkenntnis fast ausschließlich schriftlich kommuniziert, so dass weder Studierende noch Forschende und Lehrende ohne entsprechende schriftsprachliche Kompetenzen auskommen.
Über die Autorin:
Annika Rodenhauser ist seit April 2017 Leiterin der neu gegründeten ‚Schreibwerkstatt MINT’ für die Fachbereiche 1 bis 5. In ihrer bisherigen Forschung beschäftigte sie sich mit forschendem Lernen in der Biologie. Der Schwerpunkt dabei lag auf bilingualem und sprachsensiblem Unterricht.
Literatur:
- Berthouex, Paul Mac: Honing the writing skills of engineers, in: Journal of Professional Issues in Engineering Education and Practice, 122(3) (1996), S. 107-110.
- Bornschein, Beate: Schreibausbildung in der Physik. Erste Erfahrungen am Schreiblabor des House of Competence, in: Hirsch-Weber, Andreas; Scherer, Stefan (Hrsg.) (2016): Wissenschaftliches Schreiben in Natur- und Technikwissenschaften. Neue Herausforderungen der Schreibforschung, Wiesbaden: Springer Spektrum, S. 143- 154.
- Bruffee, Kenneth: Collaborative Learning. Some Practical Models, in: College English, 34 (5) (1973), S. 634-643.
- Bruffee, Kenneth: The Brooklyn Plan: Attaining Intellectual Growth through Peer-Group Tutoring, in: Liberal Education 64, Vol. XIV (4) (1978), S. 447-468.
- Franke, Andrea; Lahm, Swantje: Das Schreiblabor als lernende Organisation. Von einer Beratungseinrichtung für Studierende zu einem universitätsweiten Programm Schreiben in den Disziplinen, in: Hirsch-Weber, Andreas; Scherer, Stefan (Hrsg.) (2016): Wissenschaftliches Schreiben in Natur- und Technikwissenschaften. Neue Herausforderungen der Schreibforschung, Wiesbaden: Springer Spektrum, S. 9-28.
- van Gemert, Lisette; Woudstra, Egbert: Veränderungen im Schreiben am Arbeitsplatz. Eine Literaturstudie und eine Fallstudie, in: Adamzik, Kirsten; Antos, Gerd; Jakobs, Eva-Maria (Hrsg.) (1997): Domänen- und kulturspezifisches Schreiben, Frankfurt am Main: Lang, S. 103-126.
- Grieshammer, Ella; Liebetanz, Franziska; Peters, Nora; Zegenhagen, Jana (2013): Zukunftsmodell Schreibberatung. Eine Anleitung zur Begleitung von Schreibenden im Studium, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
- Huber, Ludwig (2015): Forschendes Lernen. Begriff, Begründungen und Herausforderungen. Ruhr-Universität Bochum: Lehre laden, Downloadcenter für inspirierte Lehre. Online: https://dbs-lin.ruhr-uni-bochum.de/lehreladen/lehrformate-methoden/forschendes-lernen/begriff-begruendungen-und-herausforderungen/.
- Jakobs, Eva-Maria; Schindler, Kirsten: Wie viel Kommunikation braucht der Ingenieur?. Ausbildungsbedarf in technischen Berufen, in: Eng, Christian; Janich, Nina (Hrsg.) (2006): Förderung der berufsbezogenen Sprachkompetenz. Befunde und Perspektiven, Paderborn: Ernst, S. 133-153.
- Luhmann, Niklas: Universität als Milieu, in: Kieserling, André (1992): Kleine Schriften, Bielefeld: Haux.
- Riewerts, Kerrin: Schreiben und Naturwissenschaften in der Hochschule. Unvereinbare Gegensätze oder fruchtbare Zusammenarbeit?, in: Hirsch-Weber, Andreas; Scherer, Stefan (Hrsg.) (2016): Wissenschaftliches Schreiben in Natur- und Technikwissenschaften. Neue Herausforderungen der Schreibforschung, Wiesbaden: Springer Spektrum, S. 109-120.
Bildnachweis:
- Autorinnenfoto: Annika Rodenhauser (privat)
- Abb. 1-3: Universität Bremen