Sichtbarkeit

 „wenn man zum Beispiel auch mit […] Partner:in auftaucht, dass so physische Zuneigung oder auch so emotionale Zuneigung, dass man sich damit nicht verstecken muss oder sich zensieren muss […]“ (Cosmo).

„[wenn ich] gleichgeschlechtliche Paare sehe, die irgendwie […] Händchen halten oder, die sich küssen und wo man einfach sieht „Okay, die sind romantisch zusammen“ und fühlen sich jetzt gerade in diesem Moment hier wohl genug das irgendwie auch offen zu zeigen“ (Cosmo).

Neben Sicherheit spielt vor allem auch Sichtbarkeit eine maßgebliche Rolle. Hier wird zum Beispiel im Falle von Cosmo deutlich, dass Queer Spaces unter anderem durch ihre sichtbar machende Wirkung definiert werden. Einen Space zu haben, an dem Sichtbarkeit möglich ist und sie sich nicht zensieren oder policen muss.

Auch Hyacinth erwähnt an mehreren Stellen den Wunsch „sich zu zeigen“, in dem Fall auf dem CSD. Der CSD schien für all unsere Interviewpartner:innen ein wichtiges Element zu sein. Gleichgesinnte kommen zusammen, Menschen können sich kennenlernen, austauschen und man wird vor allem wahrgenommen.

Während unseres Interviews mit Tulip kam die Frage auf, was die Gesellschaft benötigt, um queeren Menschen mehr Akzeptanz gegenüber zu bringen.  Tulip antwortete auf diese Frage mit: „Bildung im frühen Alter, Sichtbarkeit [und] Diversität von klein auf an“. Er erklärt, dass Sozialisationsprozesse im frühen Alter über Diversität dazu verhelfen, eine friedvolle Welt zu schaffen.

In einer Studie aus 2013, in welcher die Akzeptanz von LGBTIAQ+* – Menschen in den USA erforscht wurde, geben circa 9 von 10 LGBT-Erwachsenen (92%) an, dass die generelle Akzeptanz in der Gesellschaft von queeren Menschen im Vergleich zu den letzten 10 Jahren gestiegen sei (vgl. Pew Research Center 2013). 53% der Befragten empfinden, dass die Gesellschaft eine starke Akzeptanz entwickelt habe, während 40% der Meinung seien, dass etwas mehr Akzeptanz entwickelt wurde. Zu dem Punkt, welche Faktoren zur gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz von queeren Menschen in der Gesellschaft beigetragen habe, gab die Mehrheit an, dass sie entweder selber Menschen kannten, die der LGBTIAQ+* – Community angehörten oder berühmte Persönlichkeiten kennen, die queer sind oder sich für die Rechte von queeren Menschen aussprechen. Weitere Faktoren für die steigende Akzeptanz in der Bevölkerung seien Repräsentationen von LGBTIAQ+* – Charakteren in TV Shows, Filmen etc. (vgl. Pew Research Center 2013).  

In allen Interviews wird klar, dass Sichtbarkeit einen großen Stellenwert in der LGBTQIA+* – Community hat. Dennoch ist der Wunsch nach mehr Sichtbarkeit, insbesondere außerhalb der Queer Spaces, weiterhin präsent. Zudem ist es für die Befragten von zentraler Bedeutung, die Möglichkeit zu haben, sich auch außerhalb von Queer Spaces, offen und ohne Diskriminierungen erfahren zu müssen, entfalten zu können.

Wie und warum Sichtbarkeit eine so große Rolle für queere Menschen inne hat, wird vor allem dadurch deutlich, dass der öffentliche Raum von der Straße bis über die Geschäfte und die Cafés kein asexueller Raum ist (vgl. Schuster 2012: 647). Was bedeutet das nun genau? Schuster beschreibt, dass viele „alltägliche öffentliche Praktiken des Ausdrucks heterosexuellen Begehrens beziehungsweise heterosexueller Paarnormen und Lebensentwürfe zur Schau [stellten], was als angemessenes Verhalten betrachtet werde“ (Schuster 2012: 647). So sind öffentlich sichtbare Handlungen, wie Händchen halten eines heterosexuellen Paares, gesellschaftlich akzeptiert. Solche Praktiken sind bereits schon früh in der Sozialisation verankert. Kinder werden in ein Geschlechtersystem geboren, welches ein binäres Geschlechterkonstrukt als absolut sieht. Diese beschriebene heteronormative Norm wird durch die ständige Aushandlung des Anderen etabliert und manifestiert. Schuster beschreibt in ihrer Arbeit, dass heteronormative Räume nicht-heteronormative Räume brauchen, um ihre eigene Existenz andauernd zu bestätigen und zu legitimieren (vgl. Schuster 2012: 648). Die Autorin verweist in diesem Zuge auf den Philosophen Foucault, der 1983 dieses Phänomen als die unabdingbare Relation der Norm zu dem jeweils als [das] konstruierte Andere beschreibt (Schuster 2012: 648).  Was bedeutet das jetzt alles genau? Es bedeutet, dass alles, was von der Heteronormativität abweicht, von der überwiegend cis-hetero-geprägten Gesellschaft als „abnormal“ gewertet und somit auch verstoßen wird (vgl. Schuster 2012: 648). 

Des Weiteren ist die Sichtbarkeit von LGBTQIA+* – Repräsentationen in Medien nicht außer Acht zu lassen. Durch den Anstieg von Repräsentationen in traditionellen und neuen Medien über die letzten Jahre hinweg werden auch LGBTQIA+* – Identitäten vermehrt zugänglich für alle Menschen gemacht, da vor allem für viele genau dort erstmalige Berührungspunkte zu dem Thema hergestellt werden (vgl. Craig & McInroy 2017: 33). Obwohl es seit Mitte der 1990er Jahre eine große Verbesserung von Vertretungen in den Medien gibt, sind LGBTQIA+* – Menschen immer noch überwiegend unterrepräsentiert, da vor allem auch viele Mitglieder der Community zum Ausdruck gebracht haben, dass nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität der Repräsentationen eine maßgebliche Rolle für sie einnehmen. Dies ist nicht verwunderlich, da viele queere Charaktere in Shows oder ähnlichem überwiegend negativ konnotierten Stereotypen nachempfunden werden. So stellen diese häufig Bösewichte, Opfer von Gewalt und Diskriminierung sowie Schutzbedürftige dar (vgl. Craig und McInroy 2017: 35). Diese Bilder spiegeln nicht die Lebensrealitäten der Personen wider. Es ist jedoch ein kleiner Aufschwung von mehr akkuraten und positiven Repräsentationen erkennbar, wofür die Filme und Serien Heart Stoppers, Wendel & Wild und Young Royals beispielhaft sein können.