Forschung zwischen Luxus und Notwendigkeit

von Simon Thoböll

Wenn ich über den Campus meiner Universität gehe, sehe ich Flecken und Löcher im Teppichboden, Putz bröckelt von den Wänden und durch die Fensterscheiben kann man kaum hindurchsehen. Es fehlt das Geld, um das alles zu reparieren und zu reinigen.

Beim Werben um Finanzierungmöglichkeiten für Forschung und Lehre müssen Forschende immer wieder die Relevanz ihres Forschungsziels darlegen, woraus sich schnell die Frage nach der Relevanz von Forschung generell oder einzelnen Wissenschaften ergibt: Ist Forschung notwendig für unsere Gesellschaft, oder eher ein Luxusgut, was sich reiche Nationen leisten können und wollen? Wie kann es gerechtfertigt werden, mit öffentlichen Geldern Institutionen für Forschung und Lehre zu unterhalten, die nur einem kleinen Teil der Gesellschaft nutzen werden?

Aber die Studierenden zahlen doch Semesterbeiträge, und es gibt Geld vom Land für Hochschulen und viele Drittmittel für die Forschung? Irgendwo muss dieses Geld doch geblieben sein, also gehe ich in den maroden Mauern auf die Suche nach dem Geld.

Vor allem bei den Naturwissenschaften werde ich fündig: in den Forschungslaboren stehen viele teure Gerätschaften, um den neugierigen Wissensdurst der Forscher zu stillen. Die meisten Geräte sehen sehr wichtig und kompliziert aus, und sind bestimmt gut, um z.B. die Heilung von Krankheiten zu erforschen.

Aber als ich weiter gehe, komme ich ins Zweifeln: eine Gruppe von kaum hüfthohen Robotern spielt Fußball. Das sieht schon verdammt niedlich aus, wie die mit ihren winzigen Schritten dem Ball hinterherlaufen… steckt dort jetzt mein Semesterbeitrag drin? Nein, das sind natürlich Forschungsgelder. Genauso wie bei diesen großen Teilchenbeschleunigern oder dem Fusionsreaktor. Viele Millionen Euro werden jedes Jahr in große und kleine Forschungsprojekte investiert, und gerade so große Projekte sind natürlich auch sehr teuer. Der ehemalige Rektor der TU Wien, Peter Skalicky betont, dass so große Projekte wie ein Teilchenbeschleuniger nun mal sehr teuer sind. Wenn man das Projekt nicht günstiger umsetzen kann, sei es notwendig, so viel Geld zu investieren. Es geht schließlich darum, den Erkenntnisgewinn der Gesellschaft zu fördern, und die Gesellschaft profitiert ja von neuen Entwicklungen und neuen Erkenntnissen. An dieser Stelle frage ich mich natürlich, ob der Erkenntnisgewinn, der nach einer milliardenschweren Forschungskampagne am Teilchenbeschleuniger und der Entdeckung eines neuen Teilchens die Gesellschaft so stark beeinflusst, dass der Einsatz von öffentlichen Geldern in dieser Größenordnung gerechtfertigt

ist, während offensichtlich drängendere Probleme, wie die Erforschung von seltenen Krankheiten und deren Heilung, mit weniger Geld auskommen müssen. Hier erscheint die Argumentation, es ginge halt manchmal nicht billiger und sonst müsste man Forschung ganz sein lassen, und diese Enthaltung wäre eine Fehlentwicklung, kaum gerechtfertigt.

Vielleicht müsste man abwägen, welche Forschung relevanter ist für die Gesellschaft und das Lösen gesellschaftlicher Probleme, und danach das Geld umverteilen? Dazu müsste der intrinsische Wert einer Forschungskampagne so eindeutig beschrieben werden können, dass er mit anderen Kampagnen oder anderen Stellen öffentlicher Finanzierung vergleichbar ist. Da die Relevanz einer Entdeckung aber unter Umständen erst mit weiterführenden Forschungen, die das Potential einer Entdeckung untersuchen, deutlich wird, ist es kaum möglich einen intrinsischen Wert so eindeutig zu formulieren. Und wenn die Rechtfertigung einen so großen Stellenwert in der Forschung einnimmt, würde es zum Stillstand der Forschung kommen, befürchtet Skalicky.

Mittlerweile bin ich auf meiner Suche bei den Geisteswissenschaften angekommen. Da Gedanken erstmal kein Geld kosten und Forschung in Germanistik noch keine Krankheit geheilt hat, scheint hier die Rechtfertigung der Wissenschaft durchaus als Existenzberechtigung relevant zu sein, um den Unterhalt der Institute zu rechtfertigen.

Offensichtlich führt eine Wertung der Wissenschaften durch monetäre Werte oder intrinsische Werte anhand von konkreten Forschungsergebnissen nicht zu einer fundierten Beantwortung der Frage, ob Wissenschaft notwendig ist, oder ein gesellschaftlicher Luxus. Vielleicht sollte ich weniger anhand von konkreten Beispielen einzelner Wissenschaften und deren Vergleich nach einer Antwort suchen, sondern eher nach dem Ursprung und des wissen-schaffens. Liegt wohlmöglich die Rechtfertigung der Wissenschaften vielmehr – abseits von Geld – im Prozess des Suchens nach Antworten, als in der Antwort selbst?

Fündig werde ich bei Erhard Denninger, einem Philosophen aus Tübingen. Für Denninger ist die Frage der Rechtfertigung von Wissenschaft nicht mit dem Preis oder Nutzen von Forschung verbunden, sondern mit dem forschenden Menschen. Er argumentiert mit Humboldt und Fichte, dass die Notwendigkeit freier Forschung besteht, um jedem Menschen die Möglichkeit der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit zu geben. Für Denninger ist die Neugier ein angeborenes menschliches Bedürfnis, dessen Befriedigung keiner gesonderten Rechtfertigung bedarf.

Wenn ich von dem Text von Denninger aufsehe, sehe ich immer noch den Fleck an der Wand, wo die Farbe langsam abblättert. Natürlich wird auch mit meinem Semesterbeitrag weder ein

Maler bezahlt, noch die Wissenschaftlerin im Labor. Aber vielleicht ist der Fleck an der Wand auch nicht so wichtig, solange hier jeder Mensch Antworten auf seine eigenen Fragen suchen kann.

 

Literatur:

Dennninger, E. (2012). Zur Rechtfertigung von Wisenschaft. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 98(4).

Skalicky, P. (03. 05 2012). Wissenschaft: Notwendigkeit oder Luxus?

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