Die kognitive Dimension von Lernerfolg: Vorwissen vs. Intelligenz
- Erläutern Sie den Einfluss von Intelligenz und Vorwissen auf den Lernerfolg. In welchem Verhältnis stehen diese beiden Heterogenitätsdimensionen? Und was muss man tun, um ihren jeweiligen Einfluss empirisch zu untersuchen?
- (Wie) sind Sie bisher mit dem (heterogenen) Vorwissen Ihrer SuS umgegangen? Und: Welche (evtl. negativen) Erfahrungen haben Sie schon mit mangelnder Kenntnis oder falschen Annahmen über den (Vor‐)Wissensstand Ihrer SuS gemacht?
- Einige Befunde der heutigen Sitzung waren für Sie möglicherweise überraschend. Oder Sie sehen einige der Forschungsergebnisse kritisch in Bezug auf Schule und Unterricht. Welche Forschungsfragen ergeben sich daraus (z.B. für Ihr nächstes Praktikum)? Und wie können Sie diese Fragen beantworten?
1.
„Unter Intelligenz versteht man die allgemeine Fähigkeit zum Lernen, Denken oder Problemlösen.“ (Hasselhorn & Gold, 2006)
Unter einer solchen Definierung lässt es sich gut vorstellen, dass Intelligenz eine der Maßgeblichsten Faktoren für den Lernerfolg sein müsste.
Doch tatsächlich ist der Einfluss der allgemeinen „Intelligenz“, bzw. dem was wir darunter im Alltag verstehen, auf den Lernerfolg wesentlich geringer als man vermuten würde.
Empirisch belegt wurde dies zumindest im Bezug auf spezifische Fächer – z.B. in einer Studie nach Weinert & Stefanek (1996) im Bezug auf das Fach Mathematik. Diese Studie zeigt zwischen der Intelligenz (bzw. der sog. Kristallinen Intelligenz, dies tut aber in diesem Kontext weniger zur Sache) und den Mathematischen Leistungen der SuS in der Zeitspanne vom Kindergarten bis zur 2. Klasse nur eine Korrelation von 0.3, welche dann im späteren Verlauf bis zur 4. Klasse auf 0.14 sinkt. Der Korrelationswert gibt hierbei an, wie zusammenhängend zwei Werte sind, eine 0 wäre äquivalent zu absolut gar keinen Zusammenhang, 1 mit vollständiger Übereinstimmung.
Jetzt mag zurecht Kritik an einer solchen Studie ausgeübt werden, denn Kinder auf Ihre Intelligenz zu untersuchen ist kein leichtes Unterfangen, wenn man bedenkt, wie viel Kinder in jungem Alter noch dazu lernen und wie leicht es dadurch zu Schwankungen kommen kann.
Generell ist der Konsens jedoch, dass ab ca. 4-5 Jahren eine sinnbringende Messung der „Intelligenz“ stattfinden kann.
Vorhersagen auf die spätere Entwicklung lassen sich ab ca. 8 Jahren treffen. Generell gilt, je älter, desto genauer werden unsere Prognosen.
Dies zeigt sich ebenfalls in der Studie von Weinert & Stefanek – die Korrelation zwischen der Kindergarten-Intelligenz und der Intelligenz der 1. Klasse ist wesentlich geringer (0.47) als die zwischen 1. Und 3. Klasse (0.75)
Doch nicht nur die Schwankung ist wichtig, auch die Art der Empirischen Erfassung:
Wir können Kinder nicht nach Ihrem Alter unterscheiden, sondern nur Anhand Ihrer Beschulungsdauer, da die SuS zu unterschiedlichen Altern eingeschult werden.
Die Studie von Weinert & Stefanek zeigt jedoch noch etwas anderes. Während Die Korrelation zwischen Intelligenz und Mathematischer Leistung sinkt, steigt sie zwischen den Mathematischen Leistungen der jeweiligen vor-klasse. D.h. Wenn ein SuS bereits im Kindergarten wenig Mathematische Kompetenzen erwirbt wirkt sich das erheblich auf die spätere Leistung in den folgenden Jahren aus. (Zwischen 2. Und 4. Klasse Korrelation=0.63)
Eine Studie von Schneider,Körkel & Weiner (1989) zeigt das gleiche: Haben die SuS bereits ein Vorwissen zu einer Aufgabe, haben diese eine wesentlich höhere Leistung in dieser Aufgabe, unabhängig davon ob sie eine hohe Intelligenz vorweisen.
Es zeigt sich dadurch also, dass „Lernen“, wie Prof. Dr. Schmidt‐Borcherding in seinem Vortrag beschrieben hat, „nicht durch Intelligenz kompensiert werden kann“.
2.
Mein Praktikum fand in einer Schule in Kattenturm statt, einem vergleichsweisen eher sozial- und bildungsschwachen Stadtteil. Da wir bis zum Zeitpunkt des Orientierungspraktikums allerdings auch noch wenig darüber wussten, was wir zu erwarten hätten, bin ich mit wenig Voreinstellungen in den Unterricht gekommen.
Schockierend war dann erst der Vergleich mit meinen Kommilitonen, die mir von Ihren Praktika berichteten, in denen Sie mit den SuS schon Rechenaufgaben lösten und sich über die (teils auch von den Eltern falsch beigebrachten) Vorkenntnissen unterhielten.
Meine SuS hatten hiervon sehr wenig. Einige hatten noch Probleme Ihren Namen zu Schreiben bzw. zu lesen und auch die Zahlen müssen langsam nach und nach eingeführt werden.
Entsprechend herausstechend waren dann die wenigen SuS die tatsächlich schon Vorwissen hatten. Wirklich gut mit dem heterogenen Vorwissen wurde jedoch nicht umgegangen. Meine Mentorin gab der Klasse meist relativ repetitive Heftaufgaben zur endlosen Wiederholung von Zahlen, sodass die SuS mit Vorwissen sehr schnell gelangweilt waren bzw. die Aufgaben mal eben schnell runterrasen, dabei potenziell auch noch Flüchtigkeitsfehler verinnerlichen um sich dann danach mit Mandalas ausmalen die Zeit zu vertreiben.
Nach ein Paar Wochen brachte meine Mentorin diesen SuS dann eine Art „Knobelheft“ mit, welches Sie nun bearbeiten sollten, wenn sie mit einer Aufgabe bereits fertig waren.
Heterogenität an Vorwissen ist definitiv eine der größten Schwierigkeiten, die ich noch vor mir sehe, denn es ist nicht möglich, für jeden Schüler einzeln in einer Klasse von 20 das perfekte Lernmaterial für seinen Wissensstand rauszusuchen.
3.
Ich würde den Forschungsergebnissen soweit eigentlich zustimmen. Vorwissen ist mit einer der relevantesten Faktoren für einen schulischen Erfolg, weswegen auch die Zusammenarbeit mit den Eltern unfassbar wichtig ist. Eine interessante Frage wäre wohl, wie sich das ganze im Unterricht abspielt. Also wo liegt im Unterricht der Unterschied zwischen einer Förderung des „Vorwissens“ und einer Förderung der generellen „Intelligenz“? Bzw. sind diese deckungsgleich?
Und vorallem: Wie kann ich diese Erkenntnis, dass Vorwissen für Aufgaben wichtiger als Intelligenz ist, sinnvoll für meinen Unterricht nutzen?
Was ist eigentlich unser Ziel? Wollen wir die SuS zu einer möglichst hohen Intelligenz oder zu einem möglichst hohen Vorwissen führen? Gefühlt fokussiert sich die Schule viel öfter auf das Vorwissen durch reine Abfragen von auswendig gelernten Stoffen. Natürlich schneiden dann die Schüler, die dieses Vorwissen gelernt haben, besser ab. Aber wenn SuS mit wenig Intelligenz und viel Vorwissen eine Aufgabe besser schaffen als SuS mit viel Intelligenz und wenig Vorwissen, führt das dann nicht dazu, dass wir durch solche Aufgaben das Auswendig lernen fördern?
All diese Fragen werden vermutlich sowohl im Studienverlauf als auch durch die Erfahrung durch die Praktika mit der Zeit geklärt werden.