- Formulieren Sie basierend auf den Vorlesungsinhalten drei Thesen, die für Sie (!) einen modernen Chemieunterricht für alle ausmachen. Orientieren Sie sich gerne an den Grundannahmen von STL (Scientific and Technological Literacy for All), setzen Sie jedoch eigene Schwerpunkte.
These 1: Chemieunterricht muss persönliche Interessen widerspiegeln.
Eigene Erfahrungen zeigen, dass Schüler*innen meist dann erfolgreich und motiviert lernen, wenn ihre persönlichen Interessen bei der Wahl bzw. Aufbereitung von Unterrichtsinhalten berücksichtigt werden. Chemie begleitet uns tagtäglich durch unseren Alltag, so sollte es möglich sein, Bögen zu aktuellen und für Schüler*innen interessanten Bezügen zu spannen. Klar ist, dass es nicht möglich ist, auf jedes individuelle Interesse einzugehen, jedoch das der Mehrheit abzubilden und möglichst viele Schüler*innen thematisch abzuholen. Zudem die die Umsetzung der Themen für Schüler*innen interessanter, wenn sie aktiv eingebunden werden und nicht nur nach Lehrbuch arbeiten oder Dinge auswendig lernen müssen (Gräber, 1992, S.356).
These 2: Es muss klar sein, wofür das Wissen nützlich ist.
Häufig stellen Schüler*innen in Frage, wieso sie Thema XY wissen müssen. Das Ziel einer Lehrkraft sollte sein, ein Thema so aufzubereiten, dass Schüler*innen nicht nur abgeholt werden, sondern auch klar ist, in welcher Form sie von diesem Wissen profitieren können und warum es relevant ist.
These 3: Der Chemieunterricht muss aktuell sein.
Aktuell sollten auch die Beispiele zu Themen gewählt werden, wie beispielsweise das Verbot sämtlicher Tattoofarben oder die Zusammensetzung und Wirkung verschiedener Drogen sind nicht nur für den Moment relevant, sondern können Schüler*innen bei ihren aktuellen Interessen abholen. Zudem sollten auch die Lehrbücher auf aktuellem Stand sein und mit dem Lehrplan übereinstimmen (Galska-Krajewska, Piosik, 2006, Seite 13), da diese immer noch ein gutes Medium darstellen.
- Reflektieren Sie auf Basis der Vorlesungsinhalte und des Grundlagentextes, inwieweit chemisches Wissen im Allgemeinen und naturwissenschaftliches Wissen im Speziellen aus Ihrer Sicht als Teil des Allgemeinwissens (im Sinne einer „Scientific Literacy for All“) angesehen werden kann. Beziehen Sie hier auch ihre eigenen Erfahrungen aus dem schulischen Chemieunterricht/Ihrem Alltag ein.
Chemie ist runtergebrochen alles: Der Tisch in der Uni, das Hörsaalgebäude, der Kaffee aus der Cafeteria, der Mensch und die gesamte Erde an sich. Ohne es zu bemerken sind wir umgeben von Atomen und Verbindungen, jeden Tag. Wieso sollten Schüler*innen mehr über Gleichungen oder Gedichtsanalysen lernen, als über das was sie tagtäglich umgibt. Allgemeinwissen bedeutet ein breites Wissen in verschiedenen Themenbereichen zu haben, also auch in Chemie und anderen Naturwissenschaften.
Sicherlich besteht keine Notwendigkeit, die Dichte von Stoffen errechnen oder das Periodensystem auswendig zu können, aber das Bewusstsein, dass wir umgeben sind von Naturwissenschaften und eine grobe Idee dessen zu haben, ist sinnvoll und meiner Ansicht nach ein Teil des Allgemeinwissens.
- In einem Interview zur Sinnhaftigkeit des Hinterfragens naturwissenschaftlicher Informationen in sozialen Medien (zum Beispiel naturwissenschaftsbasierter „Fakenews“) sagte eine Lehrkraft: „Es ist blöd zu sagen, aber es ist im Endeffekt eine intellektuelle Grenze für mich; also auch-… oder Lebensumstandsgrenze, wenn die [Anm.: Die Schüler*Innen] einfach in ihrem Lebensumfeld so anders damit umgehen und nur plakative Äußerungen sozusagen verbreiten und nutzen und das auch völlig in Ordnung ist in deren Umfeld, so…, dann werden die da nicht rauskommen. Also das schaffen die dann alle nicht, das geht dann nicht, das ist dann so Kampf gegen Windmühlen.“. Verfassen Sie eine Antwort darauf.
Hinterfragen von Informationen ist ein essentieller Skill. Dieser kann unabhängig vom Lebensumfeld erlernt und gefördert werden. Das Vermitteln dieses Skills ist u.a. als eine Aufgabe von Lehrkräften zu verstehen. Es hinzunehmen und als gegeben anzusehen, dass es Schüler*innen gibt, die Dinge nicht hinterfragen und dies ein anhaltender Status quo ist, betrachte ich als fatalen Fehler. In jeglichen Lebenssituation ist es notwendig das Bewusstsein für gegenteilige Thesen oder Meinungen zu öffnen und nicht alles als glaubwürdig zu betrachten. Die selbstständige Meinungsbildung auf Grundlage verschiedener Quellen und Informationen bildet den Grundstein für die Entwicklung der Schüler*innen zu verantwortungsvollen und mündigen Persönlichkeiten.
Literatur:
- Galska-Krajewska, Anna; Piosik, Romuald (2006): Moderne Gedanken aus alten Zeiten: Jan Harabaszewskis Ideen zum Chemieunterricht, in CHEMKON, Ausgabe 13, Seite 11-13.
- Gräber, Wolfgang(1992): Interesse am Unterrichtsfach Chemie, an Inhalten und Tätigkeiten, in PdN-ChiS, JG. 39, Heft, Seite 354-358.
Eine Antwort zu “Chemie-Kein Fach für alle?”
Hallo Neele,
vielen Dank für deinen Beitrag. Deinen zu Aufgabe 1 verfassten Thesen stimme ich komplett zu, da sie meiner Meinung nach eine vielversprechende Grundlage für einen modernen Chemieunterricht bilden. Ich habe hierbei eine vierte These formuliert, welche deiner dritten These ähnelt: Der Chemieunterricht muss relevant sein. Im Grundlagentext wird hierzu behauptet, dass „jedes für wissenschaftlichen Unterricht ausgewählte Thema relevant für die gegenwärtigen oder zukünftigen Leben der Schüler*innen sein muss, um ihre Kapazität an Selbstbestimmung, Partizipation in der Gesellschaft und Solidarität mit andern zu erhöhen“ (Marks et. al. 2016, S. 287, eigene Übersetzung). Wenn im Chemieunterricht also beispielsweise die Aufnahme von CO2 in den Ozeanen als chemisches Gleichgewicht behandelt wird, geschieht dies nicht bloß mit der Intention, den Schüler*innen aktuelle und relevante Inhalte beizubringen, sondern auch mit dem Ziel, ihnen eine Grundlage an Allgemeinbildung für Debatten über den Treibhauseffekt zu vermitteln.
Deine Ansichten zu Aufgabe 2 teile ich ebenfalls. Allgemeinwissen ist schließlich wortwörtlich allgemein, also mehrere Disziplinen und Themenbereiche umfassend. Ein entscheidender Themenbereich, welcher Chemie einbezieht, ist meiner Ansicht nach der Klimawandel. Ich habe bereits das Beispiel der Aufnahme von CO2 in Ozeanen erwähnt, welches tatsächlich aus meinen eigenen Unterrichtserfahrungen stammt. In einer anderen Unterrichtseinheit haben wir die Bestandteile von Kosmetikartikeln getrennt, um den prozentualen Anteil an Mikroplastik auszurechnen. In beiden Fällen handelt es sich um relevante Sachverhalte mit Realitätsbezug, da der Klimawandel nicht nur ein präsentes Thema in der öffentlichen Diskussion, sondern auch eine Herausforderung für die gesamte Menschheit darstellt.
Zu Aufgabe 3 habe ich die gleiche Meinung. Fake News sind ein ernstzunehmendes in der heutigen Welt von Social Media, welches nicht bloß während des Wahlkampfes in den USA im Jahr 2016 eine Rolle spielte. Tatsächlich „versuch[t]en verschiedene Akteure durch Fake News [vor der Bundestagswahl 2017] Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen“ (Schmid et. al. 2018, S. 82). Hier lässt sich ein Zusammenhang zum Thema der fünften Vorlesung erkennen. Medien bieten zwar ein hohes Potential, hier etwa als eine neue Plattform der öffentlichen Debatte, allerdings ist es notwendig, sich kritisch mit den Risiken auseinanderzusetzen. In diesem Fall sehe halte ich es wie es auch in der Vorlesung behauptet wurde für einen zentralen Bestandteil des Bildungsauftrages von Schulen, Schüler*innen ein wissenschaftliches Allgemeinwissen nach dem Prinzip von STL zu vermitteln, sodass zum Beispiel verfälschte wissenschaftliche Ergebnisse, welche für eine Ideologie instrumentalisiert werden, als solche erkannt werden und eine Hinterfragung und ein kritischer Umgang seitens der Schüler*innen ermöglicht wird.
Literaturverzeichnis:
Marks, Ralf/Stuckey, Marc/Belova, Nadja/Eilks, Ingo (2014): The Societal Dimension in German Science Education – From Tradition towards Selected Cases and Recent Developments. In: Eurasia Journal of Mathematics, Science & Technology Education. Jahrgang 10, Ausgabe 4, S. 285-296.
Schmid, Claudia Eva/Stock, Lennart/Walter, Svenja (2018): Der strategische Einsatz von Fake News zur Propaganda im Wahlkampf. In: Sachs-Hombach, Klaus/Zywietz, Bernd (Hrsg.): Fake News, Hashtags & Social Bots. Neue Methoden populistischer Propaganda. Wiesbaden, Springer VS, S. 69-95.
http://dx.doi.org/10.1007/978-3-658-22118-8 Zugriff: 29.05.2022.