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Welche Heterogenitätsdimensionen spielen im naturwissenschaftlich- technischen Unterricht eine besondere Rolle?

Liebe Leser*innen, 

der folgende Beitrag bezieht sich auf die von Prof. Dr. Lydia Murmann vorgetragene elfte Sitzung der Ringvorlesung, indem die Frage: „Welche Heterogenitätsdimensionen spielen im naturwissenschaftlich- technischen Unterricht eine besondere Rolle?“ beantwortet wurde. 

Hierzu werden im Folgenden die Leitfragen zu dieser Sitzung beantwortet.

  1. Im Rahmen eines Projekttages dürfen die Schüler*innen der 3b wählen, ob sie lieber Naturgegenstände sammeln und damit ein Wald- Mandala gestalten oder aber in Bäumen aufgehängte Nistkästen abhängen und reparieren möchten. Sandra interessiert sich mehr für die Nistkästenaufgabe, wählt aber wie die meisten anderen Mädchen der Klasse das Mandala-Vorhaben. Finden Sie mögliche Erklärungen für diese Entscheidung vor dem Hintergrund der „grundlegenden psychologischen Bedürfnisse“ nach Deci und Ryan (1993). 

Betrachtet man Sandras Entscheidung vor dem Hintergrund der „grundlegenden psychologischen Bedürfnisse“ nach Deci und Ryan (1933) ist festzustellen, dass in diesem Fall die soziale Eingebundenheit eine große Rolle spielt. Sandra zieht es vor sich den anderen Mädchen einzuschließen anstelle ihren Interessen nachzugehen. Dies könnte daran liegen, dass sie von ihrer Umgebung anerkannt werden möchte und sie möglicherweise Angst vor Ausgrenzung haben könnte. Die pädagogische Interessentheorie bezieht sich nämlich nicht nur auf die Interessen des Kindes, sondern auch auf das Kompetenzerleben, die Selbstbestimmung als auch auf die soziale Eingebundenheit (vgl. Murmann, 2022. Folie 20). Diese Theorie geht davon aus, dass Menschen mit dem Trieb sich ihren sozialen Kontakten anzupassen, geboren werden (vgl. Deci, Ryan, 1933, S. 229), weshalb Sandra sich eher dem genderspezifischen Stereotypen anpasst. 

2. Welche didaktischen Entscheidungen konterkarieren in dieser Situation (paradoxer Weise?) für den Großteil der 3b die Förderung vielfältiger Interessen?

„..durch minimale Wahlmöglichkeiten lässt sich erreichen, dass sich die Schüler einem Lerngegenstand positiver zuwenden (vgl. Kress, 2013, S. 7).“ So kann man davon ausgehen, dass das selbstständige Auswählen einer Aufgabe die Lerninteresse steigern lassen kann. Handelt es sich jedoch um Gruppenaufgaben kann diese Methodik schnell einen anderen Verlauf einnehmen, da Kinder sich dann eher für das entscheiden, wofür sich auch ihre Freundesgruppe entscheidet. Sandras Fall ist ein gutes Beispiel für das Misslingen dieser didaktischen Entscheidung. 

Eine weitere Problematik stellt die Aufgabenstellung dar, denn diese werden in Werken und Malen aufgeteilt, wobei werken als typische Tätigkeit für Jungen gilt und malen als typische Mädchensache gilt. Dies führt dazu, dass sich die Klasse in Mädchen- und Jungengruppen teilt und somit den Kindern nicht die Möglichkeit bleibt ihren Interessen nachzugehen. 

3. Eine Kollegin berichtet im Lehrer*innenzimmer, dass sie im Werkunterricht bei Partnerarbeiten meist Junge/Mädchen kombiniert, um Kompetenzunterschiede auszugleichen. Kommentieren Sie diesen Ansatz mit Blick auf verschiedene denkbare Ausprägungen technikbezogener Selbstkonzepte der Schülerinnen und Schüler.

Die Vorgehensweise der Lehrkraft ist zu kritisieren, da sie die Kompetenzunterschiede anhand der Geschlechter ausmacht. Viel richtiger wäre es die Kinder zu erst zu beobachten und dann eine Entscheidung über ihre Kompetenzen zu treffen. Dieses Verhalten verstärkt das stereotypische Denken der Kinder, dass der Werkunterricht eher für Jungen geeignet ist und kann somit sowohl das Interesse als auch die Kompetenz der Schülerinnen hemmen. Außerdem könnte es auch einen gewissen Druck für Jungen auslösen, die beispielsweise handwerklich nicht begabt sind oder nicht daran interessiert sind. Lehrkräfte wirken als Rollenmodelle und geben Normen und Standards weiter (vgl. Ertl, 2010: S.7), weshalb die Lehrkraft darauf achten sollte, Fähigkeiten der Schulkinder nicht anhand ihres Geschlechtes auszumachen. Es ist wichtig die Kinder vom genderspezifischen Denken wegzubekommen, weshalb man als Lehrkraft besonders vorsichtig mit bestimmten Entscheidungen umgehen sollte.  

4. Sie möchten eine Bachelorarbeit zu gendersensiblem Sachunterricht schreiben. Formulieren Sie eine mögliche Forschungsfrage hierzu und erläutern Sie, inwiefern Unterrichtsbeobachtungen oder Befragungen von Schüler*innen bzw. Lehrer*innen für Ihre Bearbeitung der Forschungsfrage hilfreich sein könnten.

Eine mögliche Fragestellung für eine Bachelorarbeit über gendersensiblen Sachunterricht könnte lauten: „Wie können Lehrkräfte bestehende Stereotypen in Bezug auf den Sachunterricht widerlegen?“. Diese Frage ist interessant, da Kinder meist von Zuhause schon mit bestimmten stereotypischen Denkweisen ankommen. Gerade was naturwissenschaftliche Fächer betrifft oder Themen wie Technik und Werken wird Zuhause meist mit männlichen Figuren assoziiert. Es wäre interessant zu erfahren, wie Lehrkräfte mit dieser Problematik umgehen, da die meisten Lehrkräfte selbst von dieser stereotypischen Denkweise gefesselt sind. Einige Untersuchungen stellen fest, dass   Lehrer/innen erwarten, dass Jungen mehr Interesse und bessere Leistungen für naturwissenschaftlich‐technische Bereiche, zeigen als Mädchen (vgl. Ertl, 2010: S.7). Für die Bachelorarbeit wäre es interessant die Lehrkraft zu beobachten und mit den Schüler*innen ein Interview über ihre Wahrnehmung über diese Thematik, zu führen. 

Literaturverzeichnis 

Deci, Edward; Ryan, Richard (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und die Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 39, S. 223-238.

Ertl, Bernhard (2010): Schule als sozialisatorische Instanz. In: Anregungen für gendersensiblen Unterricht in MINT-Fächern, S. 6-10.

Kress, Karin (2013):Schrittweise Anleitung zur Selbstständigkeit gelenkte und natürliche Differenzierung. In: Binnendifferenzierung in der Grundschule – Das Praxisbuch, S. 7-18.

Murmann, Lydia (2022): Welche Heterogenitätsdimensionen spielen im naturwissenschaftlich- technischen Unterricht eine besondere Rolle?. Vorlesungsfolien. Universität Bremen. 

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