Part 5

Warum deshalb Kollektive wichtig sind: in Kollektiven geht es (zumindest meiner Erfahrung nach) viel darum, gesehen zu werden. Darum, dass auf Bedürfnisse, Grenzen und Fähigkeiten Rücksicht genommen wird. Dass Arbeit wertgeschätzt wird. Dass Personen mit ihren Erfahrungen und Perspektiven einen Raum schaffen können, der innerhalb der konsensfähigen ausgehandelten Rahmenbedingungen ein Ort zum gewaltarmen Lernen und Wachsen sein kann. Ein Ort der Selbstermächtigung und ein Ort, der sich den gewaltsam aufgezwungenen Normierungs- und Definitionsprozessen entziehen kann. Ein Ort der Heilung, des utopischen Träumens und Ausprobierens, an dem neue Definitionen geschaffen werden und Aushandlungsprozesse die Perspektiven aller einbeziehen. Oft ist das auch sehr anstrengend und doch ist es angenehmer, als die gewaltsamen Räume und normierten Prozesse durchschreiten zu müssen, an die sich der großteil der Gesellschaft schon gewöhnt hat und die so als selbstverständlich und notwendig hingenommen werden. Dabei könnte es auch anders sein. Ein safer space für alle, die kollektiv aufgrund von zugeschriebenen oder selbst gewählten Identifikationspunkten handlungsfähig werden wollen.
Vielleicht weil ich ein so stark romantisiertes Bild von kollektiven Räumen habe, sind bis jetzt so viele meiner persönlichen Ressourcen auch in die Arbeit dort eingeflossen. Aber auch, weil ich schon sehr viele empowernde Erlebnisse mit diesem Konzept des Arbeitens hatte – und mich mit anderen Konzepten bis jetzt nicht anfreunden kann. Ob sich das noch ändert, kann ich schwer einschätzen. Ich hoffe allerdings, dass viele bisher ungesehene Perspektiven den Einzug in wichtige Entscheidungs- und Definitionsprozesse finden können. Oder sich zumindest gegenseitig empowern und dafür Räume schaffen können, die nicht direkt angeeignet oder eingenommen werden. In den Personen zu Wort kommen können, die sonst wenig zu sagen haben.
Betrachtet man die Ausdrucksformen Text und Dialog, so ist es doch auffällig, dass ein Dialog irgendwie organischer erscheint; als sei das Wesen eines Dialogs selbst schon prozesshafter und offener als ein Text, der versucht in sich abgeschlossen die Komplexität gewisser Sachverhalte, die er niemals in der Gänze zu ergründen vermag, auch nur annäherungsweise mit Anspruch auf Vollständigkeit zu präsentieren.
Vielleicht ziehe ich deshalb Gespräche Texten vor.
Und doch scheint der Prozess des Schreibens dieses Textes mit diesen Zeilen eine der wenigen Dinge zu sein, die ich angefangen und beendet habe.
 

Part 4

Vielleicht hängt ein Teil dieser Resilienz auch davon ab oder damit zusammen, wie sehr Personen sich (noch) mit gewissen Konventionen und Eigenschaften identifizieren (können oder wollen). Ich lehne mich wahrscheinlich nicht zu weit aus dem Fenster wenn ich sage, dass Personen sich anfangen von Eigenschaften und Konventionen in Gedanken und Verhalten zu entfernen, wenn sie damit leidvolle Erfahrungen verbinden, die sie zukünftig umgehen wollen. Eine nachvollziehbare Konsequenz. Jedoch kann damit auch Potential verloren gehen: das Potential zu (kollektivem) politischem Handeln. Bis zu welchem Grad sich mit Aspekten eines Identitätskonstruktes identifiziert werden muss, um (als Kollektiv oder Einzelperson) handlungsfähig zu werden, ist fraglich und muss wahrscheinlich je nach Situation fortlaufend neu bestimmt werden (was auf jeden Fall eine weitere Hürde darstellt und weshalb es soetwas wie verschriftliche Selbstverständnisse in Kollektiven gibt).
Einige dieser Absätze mögen bis hierhin vielleicht gar zusammenhangslos wirken, deshalb bemühe ich mich darum kurz das bisher Geschriebene mit meiner Motivation für diese Einträge in Verbindung zu bringen und ein paar Abschlussgedanken zu formulieren. Ich habe seit dem Beginn meines Studiums bisher einige Erfahrungen sammeln dürfen: in WGs, Seminaren, Referaten und Gremien, meinem Nebenjob, selbstverwalteten Räumen und mit allerhand verschiedenen Personen, die, obwohl oder weil sie sehr vielfältige Perspektiven auf das und Haltungen zu dem Weltgeschehen haben, sich ihr Leben lang immer wieder in Aushalndlungprozesse begeben (müssen), wenn es um die Gestaltung bestimmter Lebensbereiche und Zusammenleben geht. In einigen Fällen meiner Begegnungen habe ich mir ausgesucht, wem ich begegne und wie der Kontakt ausgestaltet werden kann. In anderen nicht. Nun liegt es vielleicht daran, dass ich mir mehr oder weniger freiwillig ausgesucht habe, mich mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zu identifizieren und die Motivation dafür mag je nach Merkmal verschieden sein. Mit manchen Merkmalen würde ich mich gerne weniger identifizieren, und doch komme ich nicht drum herum es aufgrund bestimmter Lebenserfahrungen eben doch zu tun. Wenn ich beispielsweise gewisse Passagen in Texten lese oder mich von Statements wie dem von meiner Soziologiedozentin angesprochen fühle. Wenn ich auf der Arbeit aufgrund meines zugeschriebenen Geschlechts oder meiner zugewiesenen Gesellschaftsposition Mikroaggressionen abbekomme. Oder wenn ich mich in akademischen Kontexten einfach allgemein fremd fühle. Ich will nicht sagen, dass es anderen Leuten, die anders sozialisiert sind nicht auch so gehen kann. Dennoch können gewisse Erfahnungen weder geteilt, noch nachvollzogen werden. Der Zugang wird stets ein anderer bleiben, die Eingewöhnung und Orientierung ist vermitlich ein enormes Stück leichter, wenn man schon mit bestimmten Konventionen wenigstens aus dem familiären Kontext vertraut ist.

Part 3

Ich denke dabei unter anderem an Inhalte aus den Vorlesungen. An die obdachlosen Personen, die in Hamburg „Platte machen“ und dabei von Wissenschaftler*innen gefilmt und befragt werden. Ich denke an prekär beschäftigte Lohnarbeiter*innen an Supermarktkassen und in Lagerräumen, die den Forscher nur teilweise in ihre Kreise und ihren Lebens- und Arbeitsalltag integrieren (können). (Können), weil es gewisse sozialisationsbedingte Unterschiede gibt, die niemals „aus-„, „angeglichen“ oder „integriert“ werden können. Und das ist auch in Ordnung so, weil das scheinbar gar nicht oder nur in gewissen Teilen der Anspruch ist. So lange sich nicht die Illusion gemacht wird, mit dem Verhalten während des Beobachtens und der Beobachtung selbst hinreichend in die Lebensrealitäten dieser Personen eindringen zu können, um daraus (allegmeingültigere) Schlussfolgerungen für eigentlich viel zu umfangreiche Theoriekomplexe ableiten zu können; scheint erst einmal an der Methodik nicht viel auszusetzen zu sein – haben die Forscher`*innen sich doch (mittlerweile zumindest) auf die Fahne schreiben können, den Personen mit Respekt und im Reflexionsprozess über die eigene Voreingenommenheit zu begegnen.
Aber das sah auch vor nicht allzu langer Zeit anders aus. Ich denke an andere Texte, unter anderem den von John Berger, in dem er die Arbeiter*innen in ihren Anzügen als „mißgestaltet“ bloßstellt. Und den Text, in dem es um die Männer aus Puerto Rico ging, die sich aufgrund ihrer internalisierten „street culture“ in den Krawattenbunkern ihrer neuen Arbeitgeber*innen nicht zu benehmen wissen. Ich denke an eine Aussage in meinem ersten Semestern an der Uni von einer Soziologiedozentin, darüber dass „eine integrative und inklusive Uni nicht nötig sei, sie sich aber immer wieder gerne auf die Seite der Leute schlage, die es versuchen wollen.“ Wir stehen in Ihrer Schuld! Und dürfen jetzt auch noch dankbar dafür sein, dass uns der Zugang zu Bildung genehmigt wird – obwohl es für den wissenschaftlichen Betrieb an sich nicht notwendig wäre, gewisse Perspektiven in die Forschung einfließen zu lassen und es ja auch so viel zusätzliche Arbeit bedeutet! Das kann doch niemand wollen.
Ich will gar nicht sagen, dass die letztgenannte Perspektive mehrheitlich flächendeckend vertreten wird (auch weil ich keine statistischen Daten habe, die meine Aussage stützen könnten). Zudem sind die mittlerweile eingerichteten Antidiskriminierungsstellen und andere Organisationen ein Beweis dafür, dass es zumindest ein paar engagierte Leute gibt, denen es die zusätzliche Arbeit und der Einbezug neuer Perspektiven wert ist. Ich will nur auf die kleinen Hürden aufmerksam machen, mit denen sich einige Personen konfrontiert sehen könnten, die einen Abschluss an einer Universität (aber eigentlich fängt es schon in der Schule an) erreichen wollen, aber aus einem Nicht-Akademiker*innen Haushalt kommen. Es wird an allen möglichen Stellen betont, wie viel die Sozialisation die Entwicklung eine Persönlichkeit prägt. In der Sozialisationsbiografie vieler Menschen, die von verschiedenen Unterdrückungsmechanismen mehr oder weniger schwer betroffen sind, sammeln sich im Laufe des Lebens mehr oder weniger schnell sogenannte Mikroaggressionen an, die ihnen aufgrund gewisser (zugeschriebener) Eigenschaften entgegebgebracht werden. Wie eine Person mit diesen Aggressionen umgehen kann, soll von der persönlichen ausgebildeten Resilienz abhängen – sei das erstmal hingenommen.

Part 2

Mit dem Verifizieren wie auch dem Falsifizieren, oder genauer gesagt mit den sich aufhebenden und erneuernden Wissensbeständen gehen leider einige Gefahren einher. Die daraus resultierende Uneindeutigkeit und die nur temporär festlegbare Gültigkeit von (Teilbereichen des) Wissen(s) kann zu geringfügiger bis massiver Verunsicherung führen (welche auch leider nicht selten ausgenutzt wird). Vor allem bei Personen, die nur wenige bis gar keine Einblicke in die Lebensrealitäten von den Personen haben, die darüber bestimmen können, was als Konsens gilt.  Wozu dieser Konsens besteht ist dabei erstmal nicht wichtig. Es geht darum, dass er überhaupt existiert und dass darüber hinaus eine Sphäre existiert, die dort nicht mitinbegriffen ist und die alle nicht konsensfähigen Personen beinhaltet. Diese Konsensunfähigkeit existiert nicht deshalb, weil Widerspruch zu gewissen Thesen einlegen werden kann, sondern weil diese Thesen überhaupt gar nicht erst zugänglich sind. Das kann nicht nur im realpolitischen Alltag auf der Makroebene, sondern auch auf der Mikroebene des daily business von Leuten mit verschiedensten gesellschaftlichen (Macht-)Positionen sehr bedeutsam sein. Nun gibt es von den meisten Menschen, die irgendwann einmal einen Konsens zu Sachverhalten gebildet haben (oder sich zumindest im Rahmen dessen bewegen konnten, was zuvor als Konsens von anderen Personen beschlossen worden ist) mittlerweile zu genüge Niedergeschriebenes. Sofern die Mittel zur Beschaffung ausreichen, kann darauf zugegriffen werden.

Je nach Machtdefinition sind es in den meisten Fällen Personen mit höherer (gesellschaftliher) Machtposition, die darüber bestimmen können, was für ein Konsens zu einem gewissen Sachverhalt gefunden wird oder werden kann. Gibt es immer wieder Versuche von Personen mit relational gesehen geringeren Machtpositionen, sich der Definitions- und Normierungsprozesse der machthabenden Personen zu entziehen und eigene, im Subkulturellen konsensfähige Definitionsräume im Zuge der Selbstermächtigung zu schaffen, so sind die (Definitions-)machthabenden Personen mindestens genausoschnell wieder darauf aus, sich diese neu entstandenen subkulturellen Räume durch Definitions- und Normierungsprozesse anzueignen. Leider ist diese Aneignung teilweise sogar notwendig und kann in bestimmten Zusammenhängen etwas weniger fatalistisch betrachtet sehr hilfreich sein. Und dennoch fokussiere ich mich im Folgenden auf die augenscheinlichen Problematiken, die sich aus diesem Aneignungsprozess ergeben.

 

Part 1

Ich hab in meinem Leben bis jetzt schon Vieles angefangen und im Verhältnis dazu wahrscheinlich nur Weniges beendet. Wobei das Konzept von ‚anfangen‘ und ‚beenden‘ auch an sich eigentlich schon etwas komisch ist, betrachtet man die Tatsache dass die meisten Start- und Endpunkte von Prozessen relativ willkürlich gesetzt werden können – je nachdem, was für Kriterien als relevant für den Beginn und den Abschluss eines Prozesses angesehen werden. Es gibt einige Prozesse, deren Start- und Endpunkte zu einem gewissen Zeitpunkt einmal von Menschen mit ähnlichem Verständnis davon, wie die Dinge zu laufen haben, gesetzt worden sind. Die Motivation dahinter und die Aussicht darauf, was als Resultat von dieser Festlegung zu erwarten ist, mag innerhalb des Kreises der konsensbildenden Menschen verschieden sein.

Ein Verständnis davon, „wie die Dinge zu laufen haben“ geht nicht selten mit einer Normierung des betreffenden Gegenstandes durch die sich im Konsens befindenden Personen einher. So werden beispielsweise für den Abschluss von gewissen Prozessen bestimmte Fähigkeiten vorausgesetzt, die die den Prozess durchlaufende Person am Ende erlangt haben muss, um den Prozess oder einen Teilabschnitt davon abgeschlossen zu haben. Wer sein/ihr Abitur abschließen will, muss über ein bestimmten Satz an größtenteils normiertem Wissen verfügen. Ebenso, wer sein/ihr Studium in einem oder mehreren Fachgebieten abschließen will. Oder seinen/ihren Führerschein bekommen. In vielerlei Hinsicht ist es auch wichtig, notwendig sogar, für bestimmte Phänomene einen Konsens zu setzen. In der Sprache zum Beispiel, um sich überhaupt über einen Sachverhalt verständigen zu können. In den Natur-, Kultur -, Sozial- und anderen -wissenschaften, um die Genese von Sachverhalten nachzuvollziehen, daraus Schlussfolgerungen ableiten zu können und infolgedessen Theogiegrundlagen zu verifizieren oder zu falsifizieren. Darüber lässt sich kaum streiten, aber darum soll es nicht gehen.

 

 

Auf den letzten Meter

Mo, den 24.01.2022, 11:22 Uhr

In diesem Moment bin ich im Begriff, meinen ersten öffentlichen, offiziell als Blogbeitrag geltenden Text zu verfassen. Eigentlich ist mein Vorhaben gewesen, das Semester über soetwas wie eine in mehrere Blogeinträge eingeteilte Kurzgeschichte zu schreiben, in der ich sowohl meine inhaltlichen Studiererfahrungen als auch meine im weiteren Sinne durch das Studium angestoßenen neudazugewonnenen Erkenntnisse kreativ verarbeitet hätte. Die Idee kam mir zu dem Zeitpunkt, in dem ich mich an meinem ersten unveröffentlichten Blogeintrag versuchte. Dabei kam es mir so vor, als würde es mir leichter fallen und auch mehr Spaß machen, meine Erlebnisse und Gedanken kreativ aufzuarbeiten, als diese „einfach so“ wie sie mir während des Schreibens in den Sinn kommen herunterzuschreiben. Die letztgenannte Art der Darstellung ist viel direkter und die meisten Leute werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Anhieb verstehen, was ich dabei rüberzubringen versuche – was mir einfach viel mehr Angst macht. Eine Geschichte eröffnet je nach Schreibstil viel mehr Raum für Interpretation und kann meines Erachtens nach nochmal auf eine andere Art zum Nachdenken anstoßen, als ein nicht-fiktiver Text in Form eines Lerntagebucheintrags, der oft eher einer „bloßen“ Aneinanderreihung verschiedenster Eindrücke gleicht (was mir vorerst nicht so spannend vorkam, mittlerweile erkenne ich darin aber auch einen ganz eigenen Charme). Außerdem haftete ich der Illusion an, durch die Art des Schreibens viel bessere und vor allem schlüssigere Argumentationen formuliert zu bekommen. Nicht selten ist es jedoch so, dass man aufgrund des dafür notwendigen langen Nachdenkens auch schnell die Falle der Stagnation tappt, weil sich an irgendeinem Punkt ein scheinbar unlösbares Problem auftut oder das Geschriebene einfach nicht den eigenen Anforderungen entsprechen will. Davon sind geübte wie ungeübte Schreiber*innen nicht unbedingt gleichermaßen betroffen und wahrscheinlich mindert sich Chance sich beim Schreibprozess zu verzetteln mit der Erfahrung, die durch viele trial-and-error Versuche wächst. Wie bei den meisten Tätigkeiten, denen man sich neu zuwendet und dessen Ausführung man auf dem Weg zur Perfektion (oder zumindet bis zu dem Grad, an dem sich Zufriedenheit einstellt) erst zu beherrschen lernt. Ich hätte schon nach der ersten freewriting Übung darauf kommen können, dass das mit dem sich lange vorher Gedanken machen und eine Kurzgeschichte für den Blog formulieren zu wollen irgendwie bullshit ist. Zwar dachte ich, dass mir genau das in vielerlei Hinsicht über einen längeren Zeitraum gesehen in mehr Momenten Spaß bringen würde, als mich zu frustrieren. Jedoch weiß ich auch, dass regelmäßige Erfolgserlebnisse enorm wichtig sind, damit ich motiviert bleibe. Diese Erlebnisse hätte ich auf jeden Fall eher bekommen, wenn ich mich abends für einen Reflexionsprozess vor den Laptop gehangen und in einer freeweiting Übung meine Eindrücke aufgeschrieben hätte, da ich dann wenigstens eine Sache mehr von meiner To-Do Liste hätte abhaken können. Meine Art des Vorgehens kam mit in dem Moment in dem ich die Idee hatte aber irgendwie uneingeschränkter vor, war aber dadurch auch unkalkulierbarer – weswegen meine Frustration mit der Zeit schnell wuchs und die Erfolgserlebnisse ausblieben. Da ich dazu noch teilweise sehr ungeduldig und sprunghaft sein kann, langweilte es mich dann auch doch schneller als gedacht, mich immer wieder an den gleichen Text zu setzen. Vielleicht war mir das bewusst und vielleicht habe ich gehofft mich mit der Aufgabe etwas zu fordern und daran wachsen zu können. Und das kann ich auch bestimmt immernoch machen, aber in diesem Rahmen scheint es einfach kontraproduktiv zu sein. Sowieso habe ich eigentlich schon relativ oft die Erfahrung gemacht, dass es eine sehr blockierende Wirkung haben kann, kreative Prozesse an Fristen (und eine Institution) binden zu müssen. Irgendwan kam ich dann glücklicherweise doch dazu, den Gedanken hinter mir zu lassen. Weshalb ich die Beiträge jetzt wahrscheinlich – zwar am Laptop, aber wenigstens effektiv – auch einfach als freewriting Übung nutzen werde, wiel die ganze Sache sonst echt knapp wird.

Und da es mir schwerer fällt, persönliche Reflexionsprozesse (oder einfach irgendwas persönliches) in einem öffetnlichem Blog hochzuladen, ist das dann jetzt einfach meine Herausforderung. Und die ist schon anstrengend genug. Obwohl viele Personen (zu denen ich nicht gehöre) mittlerweile am laufenden Band irgendwo irgendwas online hochladen, unzwar auch teilweise sehr persönliche Sachen, ist es schon nochmal etwas Anderes das in einem universitären Kontext zu machen. Was es irgendwie nochmal doppelt schwer macht. Aber scheinbar ist das in diesem Studienfach nicht nur in Ordnung, sondern sogar gewünscht. Oft ist die Vorstellung einer Tätigkeit dann ja doch nochmal etwas anders, als sich dann tatsächlich damit zu konfrontieren.

Gut, dass es für die Beiträge keine genauen Vorgaben gibt und ich mich nochmal umentscheiden konnte. Keine Ahnung ob eine vorgeschriebene feste Form in dem Rahmen besser gewesen wäre. Wahrscheinlich hätte ich mit beidem aus unterschiedlichen Gründen meine Probleme gehabt. Wie auch immer. Scheinbar werde ich die Möglichkeit bekommen, während des KuWi-Studiums das Verfassen persönlicher, kreativer und wissenschaftlicher Texte zu lernen, meine Ansprüche an mein Schaffen zu überprüfen und an die Vorgaben anzupassen und mir meine Arbeit so einzuteilen, dass ich mit dem Resultat selbst trotzdem halbwegs zufrieden sein kann. Und mich an Aufgabenstellungen und Fristen zu halten.

Trotzdem scheint es irgendwie ein schmaler Grat dazwischen zu sein, sich selbst im wissenschaftlichen Betrieb nicht allzu ernst zu nehmen (was nochmal ganz andere Problematiken aufwirft) und sich ernst genug zu nehmen um überhaupt irgendwas zu Stande zu bringen.

Seminarleistung Exzerpt: Der Anzug und die Photographie (1979) von John Berger

Berger, John (2013): Der Anzug und die Photographie. In: Berger, John, (Hrsg.): Der Augenblick der Fotografie. Essays. München: Hanser: 36-43.

John Berger vergleicht in dem Essay „Der Anzug und die Photographie“ drei Aufnahmen von dem Fotografen August Sander miteinander. Dabei geht er in seiner Analyse hauptsächlich auf die Kleidung der gezeigten Personen im Zusammenhang mit deren jeweiliger zugeordneter Klassenzugehörigkeit ein.

Vor den eigentlichen Bildinterpretationen werden noch einige wenige Hintergrunddaten zum Schaffen und Leben Sanders dargelegt. Dessen Vorhaben sei es mit diesem Projekt gewesen, ein Sammelsorium an insgesamt 600 Bildern zusammenzustellen, welche ihrerseits in ihren unterschiedlichen Ausführungen Menschengruppen im ländlichen Raum in der Nähe von Köln nach  Berufsgruppen und (dem damit zusammenhängenden) Priviligiertheitsstatus systematisieren sollen. Die verschiedenen Personen in den Abbildungen würden dabei jeweils repräsentativ für einen jeden solchen Status und eine Berufsgruppe stehen können. Wie genau bei der Klassifizierung und Einteilung vorgegangen worden wäre, wird in dem Text jedoch erstmal nicht weiter ausgeführt.

Dieses Vorhaben konnte aber nie vollendet werden. Nachdem sein bekennend sozialistischer Sohn in einem Konzentrationslager verstarb, versteckte Sander seine Bilder in Archiven auf dem Land vor den Nationalsozialisten. In den 30er Jahren jedoch schon gelang sein Werk in den Fokus von Persönlichkeiten wie den Philosophen und Kulturkritiker Walter Benjamin, sowie den Schriftsteller und Psychiater Alfred Döblin (dessen Aussagen nur in einem Zitat von Walter Benjamin wiedergegeben werden).

Benjamin zitiert einen Verlag zur Beschreibung von Sanders Art der bildlichen Darstellung als eine „aus der unmittelbaren Beobachtung“ (Berger 2013: 37) entstandenen unvoreingenommene Perspektive. Der Grund für die Unvoreingenommenheit in dem Fall sei die Tatsache, dass Sander sein Projekt ohne die Einflussnahme von „Rassentheoretikern oder Sozailforschern“ (Berger 2013: 37) umsetzen habe wollen. Die Perspektive, die durch die Wahl seiner Motive und die Art der Umsetzung der Bilder entsteht, soll genau deshalb selbst eine Theorie mit wissenschatftlichem Anspruch gewesen sein, da sie eins mit dem zu analysierenden Objekt werden würde.

Döblin hingegen sieht die Wissenschaftlichkeit Sanders eher in seiner Vorgehensweise, nämlich in der Methode des vergleichenden Fotografierens (die er in einem Zitat mit vergleichender Anatomie gleichsetzt).

Berger sucht sich dann für seine Analyse die Fotografien „Jungbauern“ (1914), „Bauernkapelle“ (1913) und „Missionare der evangelichen Kirche Köln“ (1931) aus.

Anfang des 20. Jahrunderts waren Kleidungsstücke wie die dort gezeigten Anzüge, die vorher Personen der Mittel- und Oberschicht vorbehalten waren, zur Massenware geworden. Die Auffälligkeiten in der Kleidungsweise der Personen in den ersten beiden Abbildern beschreibt Berger im Gegensatz zum letzten Abbild damit, dass die Kleidung der Personen der unteren Klassen in einem harten Kontrast zu deren Körperbau stehen soll. Genau an diesem Kontrast sei auch der gesellschaftliche Status erkennbar. Denn passten sowohl Schnitt als auch Stoff der Anzüge bei Personen der Mittel- und Oberschicht gut zu dem äußerlich ersichtlichen Maß an körperlicher Aktivität, fielen ebendiese bei denen mit niedrigerem sozialen Status eher unvorteilhaft aus und ließen die Träger befremdlich aussehen. Wie genau sich diese Befremdlichkeit äußert wird etwas derbe und überzogen beschrieben, woran sich womöglich auch die Voreingenommenheit des Autors wiedererkennen lässt. In dem Zuge wird den Personen der unteren sozialen Klassen auch ihre Würde abgesprochen oder zumindest nur in einem relational sehr gering ausfallenden Ausmaß zugestanden. Denn nur in sozial ähnlich situierten Kreisen würden die von Berger beschriebenen Unstimmigkeiten weniger auffallen (während sie außerhalb dieser Kreise fast nicht auffälliger sein könnten) und teilweise sogar auf Anerkennung stoßen (was von Personen wie denen, die solche Texte schreiben wohl kaum behauptet werden kann, wenn teilweise sogar von soetwas wie „natürlicher Autorität“ in der Mittel- und Oberklasse und „sich in der Anstrengung völlig heimisch zu fühlen“ in der unteren Klasse die Rede ist).

Für die Betrachtung der Kleidungsgestaltung sei zudem noch der zeitliche Kontext nicht zu vernachlässigen: die populären Aktivitäten der herrschenden Klasse hätten sich über die Zeit verändert, was wiederrum eine Anpassung in der Herstellung erforderte. Seien in diesen Kreisen vorher noch physisch anspruchsvollere Aktivitäten ausgeführt worden, beschränke sich die Wahl später auf eher ruhigere und dennoch machtvolle Tätigkeiten.

Die Übernahme der in der Ober- und Mittelklasse verorteten Werte von den weiter unten verorteten Klassen wird im Text mit dem von Gramsci als „Klassen-Hegemonie“ (Berger 2013: 42) betitelten Begriff beschrieben. Doch obwohl sich die Aneignung gewisser Werte wie Gestus und Stil (aus einer bürgerlich-gelehrten Perspektive) eher ungeschickt gestalte, beobachtet Berger eine Form von Stolz unter den arbeitenden Anzugträgern der unteren Klassen. Jedoch verschleiere die als besser angesehene Art sich zu kleiden auch nicht, dass sich die Lebensrealitäten der verschiedenen Menschengruppen in den Bildern in ihren Grundzügen unterschieden und einige Aspekte (wie Teile des Gestus) sich vorerst jeglicher Möglichkeit der Übernahme entziehen, da sie einen anderen Erfahrungshorizont voraussetzen würden. Sowieso sei der Wille sich in bestimmten Hinsichten anzupassen überhaupt erst auf verschiedene Weise von herrschenden Klassen propagiert worden, weshalb die adaptierenden Personen aufgrund von Manipulation dafür nur begrenzt verantwortlich gemacht werden können.

Ein paar Passagen des Textes (die hier teilweise weder zitiert noch umschrieben werden) stimmen mich in ihrer Formulierung sehr mißmutig und einige Fragen und Eindrücke bleiben nach dem Lesen bei mir noch zurück: Inwiefern kann eine wissenschaftliche Methode eins mit dem zu analysierenden Objekt werden? Kann Fotografie selbst in diesem Sinne als eigenständige wissenschaftliche Methode betrachtet werden? Und was sagt das über die (Inter-)Subjektivität des daraus folgenden Standpunktes aus? In welchem Ausmaß haben Bergers Tätigkeiten als Kunstkritiker, Maler und Schriftsteller seine Schlussfolgerungen beeinflusst? Kann der Text trotz der klar ersichtlichen Subjektivität bis zu einem gewissen Grad selbst einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben? Oder schafft es erst eine Analyse dieses Textes mit festgelegten Kriterien auf dieses Level? Wieso benutzt er eine so derbe Sprache für die Beschreibung der Unstimmigkeiten von Kleidung und Körpern der auf den Bildern dargestellten Personen? War Berger sich seines eigenen Standpunktes während des Verfassens dieses Textes bewusst? Können sich Arbeiter aufgrund ihrer physischen Aktivität in ihren Körpern heimischer fühlen, als Leute die weniger physisch aktiv sind? Oder wird daraus nur eine weitere absurde Essenzialisierung kreiert? Entspringt das meiste Geschriebene irgendeiner romantisierten Phantasie, die nicht viel mit der Lebensrealität all dieser Menschen zu tun hat? Und ist deshalb der so hoch gelobte Objektivitätsanpruch komplett hinfällig? Ist das was ich gelesen habe alles sowieso nur Schwachsinn und ein sehr unnötig aufwändiger Zeitvertreib gewesen?