Genau genommen wusste ich nicht, was ich mit Kulturwissenschaften studieren werde.
Dass dann mein erster Schwerpunkt mit der Einführung in die Ethnologie gesetzt wurde, lässt mich durchaus rätseln. Denn vor Ethnologie habe ich irgendwie Bedenken. Ist das nicht dieses aus kolonial- rassistischen Bestrebungen heraus entstandenes Fach, dass bis heute den, auch wenn auf altgriechisch, dubiosen Namen „Völkerkunde“ trägt?
Doch die sich seit der Gründung bis heute ändernden grundlegenden Theorien oder Annahmen der Ethnologie sollen hier erst mal kein Gegenstand sein. Was kann ein_e Studienanfänger_in wie ich auch schon viel dazu beitragen?
Viel eher habe ich mir nach dem Film von Martin Gruber einige andere Fragen gestellt, deren Antworten ich mir zum Teil in der Einführung erhoffe.
Wie wird speziell in der Ethnologie wissenschaftlich gearbeitet?
Soweit ich mitbekommen habe wird hier nicht oder nicht viel, wie in anderen empirischen Sozialwissenschaften, mit Studien, die auf Statistiken beruhen, gearbeitet. Beispielsweise wie es die Soziologie tut.
Empirie wird unter anderem durch Feldforschung betrieben. Gruber gibt im Feldforschungsbericht an, durch die Auftragsuntersuchung herausfinden zu wollen, welches „kulturelle[s] Wissen […] notwendig ist, um als Obdachloser in der Hamburger Innenstadt zu (über) leben“ und welche „Strategien der Alltagsgestaltung“ den Personen dabei helfen.
Dies ist aber nur eine Fragestellung, auf die sich aus meiner Sicht eine oder einige direkte beziehungsweise eindimensionale Antworten geben lassen. Aber wurde hier eine Hypothese oder eine Theorie überprüft, um sie zu festigen oder zu widerlegen? Gibt es überhaupt diesen Anspruch in der Ethnologie?
Beginnt eine Feldforschung immer mit einer Fragestellung oder wird manchmal aus reinem „Interesse“ geforscht? Inwiefern spielt die Wirkung einer Ethnografie eine Rolle, wenn keine auftraggebende Institution dahinter steht? Was zum Beispiel war hier das weitergehende Interesse an dem Wissen über das Leben dieser Gruppe von Obdachlosen?
Vielleicht ist es ja das Schöne am Studieren, dass sich stets mehr Fragen auftun als beantwortet werden.
Einige haben sich allerdings bereits beim Schreiben beantwortet. Die eigentliche Idee dieses Blog- Eintrags entstand nämlich aus einem Abfuck meinerseits darüber, dass keine zu überprüfende These der Wohnungslosen- Feldforschung vorangestellt worden ist und ich ernsthaft zu Zweifeln anfing. Wie gut, dass ich nochmal in den Text geschaut habe, wo im ersten Absatz, von mir dort gelb markiert, genau das oben Zitierte steht. Somit haben sich auch Text und Fragen während des Prozess ein wenig verändert.
Ich meine tatsächlich bis jetzt mitbekommen zu haben, dass die wenigsten Personen zu Beginn ihres Studiums wissen, was sie genau erwarten wird. Wäre ja auch irgendwie komisch, wenn dem nicht so wäre. Das bezieht sich sowohl auf die Inhalte des Studiums (die vorher zwar schon ansatzweise recherchiert werden können, über die aber nur bedingt und in einem anderen Rahmen schon ein Austausch stattfinden kann), als auch auf alles darüberhinausgehende mit dem Studium im weitesten Sinne in Verbindung stehende.
Vielleicht ist es ganz gut, dass der Horror der Ethnologie direkt zu Beginn des Studiums kommt, damit die Personen wissen, worauf sie sich im Laufe der nächsten Jahre noch gefasst machen müssen und sich dementsprechend wappnen können. Oder sich doch nochmal für ein anderes Studienfach bewerben, weil sie noch nicht so weit fortgeschritten sind. So oder so: mit der problematischen Vergangenheit (und Gegenwart) der Ethnologie konfrontiert zu werden, ist essenziell und findet besser früher als später Erwähnung in diesem Studienfach. Es wäre wahrscheinlich auch komisch gewesen das Gefühl zu bekommen, dass die kolonialrassistische (deutsche) ethnologische Praxis eher als Randnotiz irgendwann in den späteren Semestern thematisch behandelt und aufgearbeitet wird (dafür ist eine Vertiefung wahrscheinlich angebrachter, die nur mit einer Grundlage aus den früheren Semestern stattfinden kann).
Dass viele Fragen schon oder gerade noch während des Schreibens geklärt oder verändert werden (können/müssen) ist eine Fähigkeit, die während des Studiums zu perfektionieren gelernt wird. Denn so werden die meisten Schreibprozesse für Hausarbeiten oder Essays ablaufen. Und in den Kulturwissenschaften werden die Reflexionsprozesse ja sogar auch in den Schreibprozess mit eingebunden – was ja schon direkt in diesem ersten Beitrag passiert ist. Von daher würde ich sagen ist die damit schon ein ziemlich guter Einstieg in das Studium gelungen – trotz anfänglicher Bedenken.
Zur ethnologischen Forschungspraxis habe ich mir immernoch keine endgültige Meinung gebildet. Vielleicht wird das auch niemals passieren. Eigentlich hat gerade das Subjektive in der Forschung im Gegensatz zum objektivierenden Quantitativen mein Interesse geweckt, aber ich erkenne auch jetzt schon einige Konfliktpunkte, auf die mit Sicherheit auch noch im weiteren Verlauf des Studiums eingegangen wird. Darauf bin ich sehr gespannt.