„An Ihrem Gymnasium gibt es eine – wie üblich sehr heterogen besetzte – Vorklasse, in welcher sogenannte Seiteneinsteiger*innen Deutsch lernen und auf die Teilnahme am Regelunterricht vorbereitet werden. Für einige wird nun der endgültige Übergang diskutiert. Ein Großteil der Lehrkräfte plädiert – mit Verweis auf die noch nicht vollständig ausreichenden (bildungssprachlichen) Deutschkenntnisse – sie an eine Oberschule zu überweisen, obwohl die Schüler*innen hinsichtlich ihrer Lernfähigkeit und ihrer Vorbildung eigentlich die Voraussetzungen für das Gymnasium mitbringen und gerne an der Schule bleiben würden. Nehmen Sie auf Basis der Vorlesung Stellung dazu.“
Im uns beschriebenen Fall würde ich die Entscheidung, ob die Schüler*innen auf der Schule bleiben können, also weiter ein Gymnasium besuchen, oder an einer Oberschule verwiesen werden individuell von den Wünschen jeder einzelnen Schülerin, jedes einzelnen Schülers abhängig machen. Die Studie von Prediger (2019) beispielsweise zeigt klar, dass Schüler*innen durchaus in der Lage sind dem Unterricht folgen zu können, sofern von Lehrer*innen eine gewisse Rücksicht in Bezug auf die Sprachbarriere ausgeht.
Darüber hinaus ist es wichtig die Schüler*innen in ihren Wünschen und Vorstellungen entsprechend so zu unterstützen, dass sie das Gefühl haben, ernst genommen zu werden und nicht das Gefühl vermittelt bekommen ihre Kompetenzen sein schlechter als sie es tatsächlich sind. Wenn die Voraussetzung dafür, dass sie dem gymnasialen Unterricht folgen können, grundsätzlich erfüllt sind, und das sind sie im uns beschriebenen Fall, darf den Schüler*innen meiner Meinung nach nicht verwehrt werden auf der Schule zu bleiben. Motivation und Engagement der Schüler*innen werden vermutlich auch dann höher sein, wenn sie sich verstanden fühlen und man ihre Wünsche berücksichtigt und nicht über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen trifft, daher ist in erster Linie der Dialog miteinander entscheidend.
Über das Fallbeispiel hinaus lassen sich auch leicht Vergleiche zu meiner eigenen Schulzeit ziehen. Mehrsprachigkeit spielte hier auf verschiedenen ebenen eine Rolle. Auf der einen Seite äußerte diese sich im Fremdsprachenunterricht, der für mich ab der dritten Klasse mit Englisch begann. Im späteren Verlauf kamen dann Latein dazu.
Ich selbst habe mit dem Lernen neuer Sprachen an sich keine Probleme großen Probleme gehabt, ich konnte im Englischunterricht zum Ende meiner Schulzeit die Sprache gut verstehen, sie schreiben, jedoch tat ich mich mit dem Sprechen immer ziemlich schwer. Ich möchten diesen Punkt nochmals auf vorher beschriebenes Fallbeispiel beziehen, da ich dort gewissen Parallelen erkennen kann. Die Schüler*innen aus dem Beispiel erfüllen die Voraussetzungen am Gymnasium zu bleiben und können durchaus den bildungssprachlichen Anforderungen gerecht werden, auch wenn es ihnen vielleicht manchmal noch schwer fallen mag alles Gelernte sofort umzusetzen. Mir ging es im Englischunterricht damals oft ähnlich, ich habe die Arbeitsanweisungen genau verstanden, Präsentationen vernünftig ausgearbeitet, aber sobald es um die mündliche Beteiligung oder die Präsentation ging, wurde es schwierig. Mir hat jedoch deshalb nie eine Lehrkraft empfohlen das Gymnasium zu verlassen, ganz im Gegenteil, es wurde mit Verständnis und Geduld reagiert.
Latein war dahingehen ein dankbares Fach für mich, da ich diese Sprache ja nicht aktiv habe sprechen müssen, aber auch dazu möchte ich gerne einen Bezug zur Mehrsprachigkeit herstellen. Ich selbst empfand es immer als hilfreich die grammatischen Strukturen im Lateinunterricht nochmals zu lernen, weil sie denen vieler Sprachen, so auch dem Deutschen, ähnlich sind. Ich hatte danach das Gefühl meine eigene Muttersprache noch ein wenig besser in ihren Grundlagen verstehen zu können als vorher. Aber auch für den Englischunterricht oder dem Lernen von Spanisch im privaten Rahmen empfand ich vieles als hilfreich.
Über diese klassische Art von Mehrsprachigkeit hinaus wurde gerade in der gymnasialen Oberstufe zusätzlich der Unterschiede zwischen Alltagssprache bzw. Umgangssprache und Bildungssprache immer wichtiger. Ich erinnere mich, dass mit dem Wechsel in die Oberstufe meine damalige Deutschlehrerin beispielsweise sehr viel mehr darauf geachtet hat, dass in Klausuren keine Umgangssprache verwendet wird, es gab dafür sogar die Möglichkeit einen Extrapunkt für den Ausdruck zubekommen. Auch in anderen Fächer wurde aber mit höhere Klassenstufe zunehmender mehr Wert darauf gelegt auf Umgangssprache zu verzichten und Fachsprache zu verwende, in Biologie beinhaltete dies zum Beispiel die Fachbegriffe, welche gelegentlich auch Fremdworte waren, richtig zu nutzen und erklären zu können. Vermuten würde ich, dass die Lehrkräfte damit erreichen wollten, dass man ein Gefühl dafür bekommt, das Sprachen je nach Situation anders gebraucht werden können, so wie es auch Maas (2008) beschreibt.
Vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit und dem Fallbeispiel, bei dem nicht alles optimal zu laufen scheint, möchte ich mir für meinen eigenen Unterricht vor allem die Frage stellen, wie sich ein Konzept entwickeln lässt, welches Mehrsprachigkeit dauerhaft in meine Unterrichtsgestaltung integrieren lässt. Hierfür wäre mir zum einen wichtig, dass ich im Austausch und dem Dialog mit meinen Schüler*innen bleibe, versuche die unterschiedlichen Voraussetzungen zu verstehen, die diese mitbringen, denn auch wenn einer Gruppe auf den ersten Blich recht homogen erscheinen mag, so wird sie dies nie vollständige sein können, da dennoch jede Schülerin und jeder Schüler seine eigenen Lebenserfahrungen und Schwierigkeiten mitbringt. Ich bin der Überzeugung, dass ich nur dann ein entsprechendes Konzept etablieren kann, wenn ich dabei auf alle gleichermaßen Rücksicht nehme, ganz ungeachtet davon, wie einfach oder schwer es wird, diejenigen mit einzubeziehen, die Deutsch vielleicht nicht als Muttersprache sprechen.
Gerade im Hinblick darauf, dass ich einmal Deutschlehrerin werden möchte, ist mir jedoch auch bewusst, dass ich mich dahingehend, wie ich Schüler*innen, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen dennoch optimal mit einbinden kann, ohne dass diese zu kurz kommen, noch mehr mit der Thematik von Mehrsprachigkeit auseinandersetzten muss. Ein erster Ansatz dafür kann meiner Meinung nach die Gestaltung von sprachsensiblem Unterricht sein. Aktuell findet dies leider noch recht wenig Umsetzung und damit nur wenig Einzug in die Unterrichtsgestaltung. (Wlossek & Rost-Roth 2016) Dies würde ich in meinen Vorbereitung gerne ändern wollen, um eine Grundlage von Fairness für alle zu schaffen, ohne hätten alleine bei der Benotung die Schüler*innen, welche Deutsch mittels Erstspracherwerb gelernt haben Vorteilen gegenüber denen, die diese Grundlage nicht mitbringen.
Zusätzlich möchte ich im Zusammenhang mit den bereits genannten Punkten jeder Schülerin und jedem Schüler ein Gefühl von Verständnis vermitteln. Alle sollen sich in ihren Wünschen bestärkt und unterstützt fühlen. Auch wenn Voraussetzungen, die von einzelnen Schüler*innen mitgebracht werden nicht immer einfach sein werden, so möchte ich dennoch gleichermaßen jedem von ihnen alles mitgeben, dass sie weiterhin brauchen werden. Mein Ziel bleibt grundsätzlich immer die optimalen Bildungsmöglichkeiten für jede Schülerin und jeden Schüler zu schaffen und sie auf dem Weg ihrer Entwicklung bestmöglich zu unterstützen.
Aus den vorherigen Ausführungen ergibt sich damit also, dass Schule die Mehrsprachigkeit weniger als Problem und mehr als ein Geschenk verschiedener Ressourcen verstehen sollte. Die Idealvorstellung wäre, dass mit diesem Denken ein dauerhaftes Konzept von Mehrsprachigkeit etabliert werden kann, bei dem Lehrkräfte nicht bloß einzeln und für den eigenen Unterricht darauf achten, dass jeder, unabhängig von Sprachbarrieren dieselben Chance bekommt, sondern sich gegenseitig dazu motivieren und unterstützen. Wie auch Fürstenau (2011) ausführt, ist es dafür unverkennbar zunächst der Wert der Mehrsprachigkeit zu erkenne. Wichtig dafür ist eine Sensibilisierung der Lehrkräfte für sprachsensiblen Unterricht, zum einen bereits in der akademischen Ausbildung von angehenden Lehrkräften, zum anderen aber durchaus auch bei bereits ausgebildeten Lehrkräften über bspw. Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Nur dann, wenn man es schafft alle gleichermaßen für die Wichtigkeit dieses Themas zu sensibilisieren werden auch langfristig gesehen Änderung und Anpassungen in der Bildungspolitik stattfinden können, da man damit den Bedarf an einer Lösung und gleichzeitig aber auch schon erster Vorschläge für eine solche aufzeigt und wichtig macht.
Auch wenn es sicherlich noch seine Zeit dauern wird, bis vollständig an den Schulen etabliert sein wird, dass Mehrsprachigkeit kein Fluch sein muss, sondern genauso auch ein Segen ist, sind wir meiner Ansicht nach dennoch bereist auf einem guten Weg dorthin, wenn wir uns alleine bereist im Rahmen dieser Vorlesung und sicher auch im weiteren Verlauf unseres Studium mit diesem Thema vertraut machen und ein Bewusstsein dafür geschaffen wird lösungsorientier zu denken und sich einem Problem anzunehmen anstelle dieses bloß als solches zu betiteln.
Literatur:
- Prediger, S.; Uribe, Á.; Kuzu, T. 2019. Mehrsprachigkeit als Ressource im Fachunterricht. Ansätze und Hintergründe aus dem Mathematikunterricht. In: Busse, V.; Göbel, K. Lernende Schule. Für die Praxis pädagogischer Schulentwicklung (86). Velber: Friedrich Verlag.
- Maas, U. 2008. Sprache und Sprachen in der Migrationsgesellschaft. Göttingen: V&R unipress.
- Rost-Roth, M.; Wlossek, I. 2016. Sprache/n als Ressource im Klassenzimmer?: Erfahrungen und Einschätzungen von Lehrkräften in Regel- und Übergangsklassen. In: Schurt, V. et al. (Hrsg.): Heterogenität in Bildung und Sozialisation. Opladen: Barbara Budrich
- Fürstenau, S. 2011. Mehrsprachigkeit als Voraussetzung und Ziel schulischer Bildung. In: Fürstenau, S.; Gomolla, M. (Hrsg.) Migration und schulischer Wandel: Mehrsprachigkeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Eine Antwort zu “RV11 Mehrsprachigkeit als Ausgangspunkt und Ziel schulischer Bildung in der Gymnasialen Oberstufe”
Hallo Saskia
Vielen Dank für Deinen Beitrag und das Teilen Deiner Erfahrungen. Ich finde deine Empfehlung sich jeden Schüler individuell zu betrachten genau richtig und finde es schön wie du deutlich machst, dass es nicht richtig ist diesen Schülern das Gymnasium zu verbieten. Des Weiteren stimme ich dir vollkommen zu, dass diese Schüler mit ihrer Motivation ihren Sprachrückstand schnell aufholen werden. Jedoch erinnere ich mich aus meiner Schulzeit, dass es nicht wirklich Lehrer gab welche sich für diese Schüler engagiert haben. Womöglich weil angehenden Lehrkräften das Thema Mehrsprachigkeit vorgeführt wird, jedoch nur in der Theorie und Ihnen so jegliche Praxis fehlt (vgl. Hammer et al., 2016, S. 167). Ohne jegliche Unterstützung denke ich nämlich dass Schüler es viel schwieriger haben werden wie beschrieben die Sprache richtig zu lernen. Nichtsdestotrotz ist es nicht unmöglich wenn man bspw Unterstützung in der Schule & Zuhause erhält. Zu dem Punkt, dass man indem man neue Sprache lernt seine eigene auch immer weiter lernt stimme ich dir vollkommen zu. Gerade im Lateinunterricht war es erstaunlich wie viel unsere Deutsche Grammatik mit ihr gemeinsam hat. So hat man sich zb im Lateinunterricht in der 11ten Klasse wieder an Stoff aus dem Deutschunterricht der 6 Klasse erinnert und konnte es auffrischen. Dadurch konnte man zb im Unterricht fachliche Verständnis Probleme mit einer anderen gesprochenen Sprache ausgleichen (vgl. Seidl, 2020, S. 115 ff.).