También la lluvai/Und dann der Regen
2010, Mexiko, Spanien, Frankreich, 104 Minuten
Regie Icíar Bollaín
Kritik von Fynn K. Tielsch
Sollten wir ein Film über Christof Kolumbus drehen oder doch ein Film über die Proteste gegen die Privatisierung der Wasserversorgung? Das ist die Frage, die der Film sich selbst und dem Rezipienten stellt, und schafft es durch seine Meta-Ebene ein Film über beides zu machen. Die Proteste gegen die Privatisierung der Wasserversorgung beruhen auf wahren Gegebenheiten aus dem Jahr 2000 und werden im Film nacherzählt. Der Handlungsstrang wird zusätzlich um die fiktiven Filmarbeiten an einem kritischen Kolumbus-Film ergänzt. Anfangs stehen im Vordergrund der Regisseur Sebastián, der Produzent Costa und Maria, Regieassistentin, welche in der Anfangsszene ein Opencasting durchführen. Die Dreharbeiten und das Casting finden in Bolivien statt, auch wenn ihnen bewusst ist, dass Kolumbus in der Karibik ankam. Ziel des Casting ist es indigene Statisten anzuwerben, die dann die Indigene Bevölkerung bei der Ankunft Kolumbus verkörpern sollen. Gleich zu Beginn erfahren wir, dass der Drehort Bolivien ausgesucht wurde, da die Bezahlung von Statisten dort deutlich niedriger ist als in der Karibik.
Ambivalenz und Kontraste
Der Film folgt den Dreharbeiten, aber es wird schon bald klar: so einfach werden sich die Dreharbeiten nicht gestalten. Ein aufkommendes Problem ist der Konflikt zwischen den Indigenen und der Stadt, die vorhat die Wasserversorgung in private Hände zu gegen. Aus diesem Grund lässt die Stadt Brunnen sperren, aus denen die indigene Bevölkerung ihr Wasser bezieht. Daraufhin versammeln sich einige in der Stadt und protestieren. Maria beobachtet dies und filmt mit einer amateurhaften Kamera und Kameraführung. Costa, der Filmproduzent, hält nicht viel davon und lehnt den Vorschlag von Maria ab, eine Dokumentation aus den Protesten zu machen.
Zeitgleich zu den Anfängen der Protestbewegung entsteht eine Diskussion im Filmteam, wie mit dem Thema Kolumbus verantwortlich umgegangen werden soll. In dem luxuriösen Hotelrestaurant klirren Gläser und es wird sich munter Unterhalten. Doch die Stimmung kippt, als der betrunkene Anton anfängt, das Filmprojekt grundlegend in seiner unkritischen Weise die historische Person Las Casas darzustellen zu kritisiert. Auch kritisiert er die Un-ernstigkeit gegenüber der Thematik des Kolonialismus in der Filmcrew und wirft ihnen indirekt vor, das Thema zu verharmlosen. Auch kommt er auf die aktuelle Lebenssituation der Indigene zu sprechen und macht auf die fehlende Reflexion aufmerksam, dass der Kolonialismus bis in die heute Realität Einfluss nimmt. Explizit kritisiert er die ausbeuterische Bezahlung der indigenen Statisten, im Kontrast zu ihrem luxuriösen Speisen im Hotel.
Ähnlich wie bei Maria wird das Drehen eines Kolumbus-Films hinterfragt und nach der Verantwortung des Filmedrehen gesucht. Doch die Anwesenden lachen nur und weichen dem Thema aus. Bald sollen seine Worte vergessen sein, doch die Frage nach einem verantwortlichen Filmemachen bleibt die Grundfrage des Films.
Am Filmset sucht Costa Daniel auf, der Anführer der Protestbewegung und aber auch ein wichtiger Darsteller im Film ist. Grund sind Costas Bedenken, Daniels Aktivitäten könnten schlechte PR sein. Costa handelt für sein alleinigen Vorteil und hinterfragt Daniel Vorhaben erst gar nicht. Er kritisiert nicht Daniels Handeln direkt oder hinterfragt es auf Gerechtigkeit— für ihn zählt nur sein Film und sein kommerzieller Erfolg. Daniel ist sichtlich unzufrieden, doch genau in diesem Moment klingelt Costas Handy. Am Handy ist Costa Geldgeber, der englisch spricht und wissen möchte, wie es voran geht. Costas Antwort: Es geht gut voran, die Statisten können wir nur für zwei Dollar pro Tag bezahlen: „What´s fucking great man.“ Costa legt auf und wende sich wieder an Daniel. Doch erschrickt er, als Daniel sagt: „What´s fucking great man.“, und erklärt, er habe ihn die ganze Zeit verstanden. Costas Überraschung zeigt seine rassistische Vorstellung von Indigenen, die nach seinem Verständnis kein Englisch sprechen können.
Szenen wie diese, in den der Intellekt der Indigenen unterschätz wird, finden sich im Film öfter und stehen für die Postkoloniale Erbe und das einhergehende rassistische Gedankengut. So werden Indigenen von dem Bürgermeister als unterentwickelte und gesellschafts-zerstörend Menschen benannt, da „es ihnen im Blut liegt“. Der Film kritisiert diese, leider heute noch vorhandenen, Gedankengüter auf schärfste und zeigt die sehr wohl vorhandene Gesellschaft und Kultur der Indigenen auf, die aber nicht dem Klischee einer „Kultur versus Natur“ Darstellung verfällt.
Zudem ist der Film schlau genug, um die Ursprünge der Ungleichheit in der Gesellschaft, die sich beispielsweise in der Bildung wiederfindet, auf die Gesellschaft selbst zurück zu führen. Nicht die ethnische Abstammung bestimmt die Bildung, sondern der sozio-ökonomischer Stand, aus denen Indigene systematisch ausgeschlossen werden. Szenen, die zeigen, wie einfach es für Costa ist, sich mit Geld durch ein Korruptes System zu kaufen, verdeutlichen den Zusammenhang von Geld und Lebensqualität in der bolivianischen Gesellschaft, die der Film Anfang der 2000er zeichnet.
Die Bedeutung von Geld und Macht nimmt ab da an eine weitere Rolle ein. Die Dreharbeiten gehen voran und zeitglich spitzen sich die Proteste zu. Costa versucht Daniel noch einmal zu überreden, sich von der Protestbewegung zu distanzieren und biete ihm sogar 10.000 Dollar. Daniel stimmt zu, aber nur um das Geld wiederum für die Proteste zu nutzen. Hier wird ein Vergleich zwischen Costa und Daniel präsentiert. Zu einem Costa, der meint, die Welt ist durch Geld manipulierbar und zum anderem Daniel, der seine Ideale nicht für Geld verkaufen will. Dies kann auf den Angang des Filmes bezogen werden, als Maria mit ihrer Kamera filmend Daniel fragt, warum er am Film mitwirken möchte. Ein anderer antwortet für in: natürlich das Geld, und Daniel senkt den Kopf und lacht. Aber es stimmt, Daniel ist auf das Geld angewiesen aber zugleich will er seinen Idealen treu bleiben. Ein Zwiespalt, der im Film diskutiert wird und hier eine Entwicklung zwischen die beiden Szenen aufzeigt. Geld und die miteinhergehenden Machtstrukturen werden als der Grund für die Ausklammerung der Indigenen aus der Gesellschaft und Politik, aber auch für das Aufrechthalten des gegenwärtigen Systems identifiziert.
Sollte man nun ein Film mit viel Profit drehen oder ein Film der Missstände zeigt, der nicht profitabel ist? Und wieweit hat der/die Filmemacher*Innen eine Verantwortung? Die Beantwortung der Frage liegt in der Figur Maria, der Regieassistentin. Ihr kommt die Rolle der Dokumentierenden zu, während Sebastián fiktional arbeitet und der Realität ausweicht. Mit ihrer Amateur-Kamera zeichnet Maria die Filmarbeiten, aber auch die Proteste der Indigenen auf. Sie ist es also, die die Ungerechtigkeit einfängt und das Medium Film nutzt um diese Ungerechtigkeit sichtbar und so diskutierbar zu machen. Und anders als Sebastián hat sie eine Gegenwartsbezug. Damit verkörpert Maria eine Handlungsempfehlung für das Filmemachen.
„Und dann der Regen“ ist ein beeindruckender Film, der über das Postkoloniale Erbe und das Filmemachen diskutiert. Nicht nur schafft der Film eine Bühne für den „Wasserkrieg“ in Bolivien, zudem gibt er der indigenen Bevölkerung, vor allem ihrer Meinung, eine Bühne. Diese Repräsentation ist aktiv und gibt ihnen eine Stimme. Eine Stimme, die ohne diesen Film vielen Menschen vorbehalten wäre. Und auf der anderen Seite kritisiert der Film das Filmemachen von Sebastián und Costa, die „feige“ einen Anti-Kolumbus-Film produzieren wollen und dafür Indigene ausnutzen (worin sie selbst anfangs kein Wiederspruch sehen) und statt sich auf die Gegenwart zu beziehen, das Bild der Vergangenheit wenig hinterfragt nachzeichnen.
Durch seine Komplexität und pausenlosen Anspielungen auf der Meta-Ebene gibt es noch einige weitere Themen und Diskussionen, die in dieser Filmkritik nicht thematisiert werden. Zu erwähnen ist aber der Handlungsstrang um Daniels Tochter, Panuca, die auch im Film von Sebastián mitspielt und durch den Konflikt zwischen Costa und Daniel beeinflusst wird. Und schließlich zwischen den beiden Positionen steht und zum „Spielball“ des Konfliktes wird. Dies wird jedoch nicht weiter aufgegriffen oder reflektiert, und im späteren Verlauf wird dieser Handlungsstrang fallen gelassen.
Heroisierung
Der Film wurde bis hierher positiv rezensiert und nicht ohne Grund, doch nimmt der Film ab dem letzten Drittel eine Erzählerische Wende ein, die zu kritisieren ist. Die Figur Costa, die in der ersten Hälfte emotionslos und ausbeuterisch charakterisiert wird, scheint in der zweiten Hälfte grade zu verständnis- und aufopferungsvoll: Die Proteste eskalieren und die Regierung schick Militär in die Stadt. In dem ganzen Chaos wird Daniels Tochter, Panuca, verletzt und befindet sich im Zentrum der Stadt. Panucas Mutter bitte Costa, sie mit dem Auto in die Stadt zu fahren, um bei ihrer Tochter zu sein. Costa zögert, denn er weiß, dass die Ausschreitungen dort am gefährlichsten sind. Er stimmt dann doch zu und gemeinsam fahren sie durch verwüstete Straßen. Endlich erreichen Costa und Panucas Mutter das Gebäude in dem sich Panuca aufhält. Davon überzeugt, Panuca retten zu können, nimmt Costa sie auf den Arm und bringt sie in das nächste Krankenhaus und schafft es wie durch ein Wunder. Später trifft er Daniel, dem Vater von Panuca, der schwer in seiner Schuld zu stehen schein und ihm ein Geschenk gibt.
Die Charakterentwicklung von einem arroganten Egoisten zu einem großen und mutigen Helden grenzt an übertriebene Idealisierung. Ganz nach dem Motto: das weiße Arschloch muss nur verstehen und kann im Anschluss alle retten, und steht als bewundernder Held dar. Zudem liegt die einzige wirkliche Charakterentwicklung bei Costa vor, die anderen Figuren erfüllen nur ihre Rolle als statische Verkörperungen von Ideen und Meinungen, die der Charakterentwicklung Costas zuarbeiten. Ganz nach dem Prinzip der Heldenerzählung. Costa wird in einem Film heroisiert, der es gar nicht nötig hätte. Es wirkt viel mehr, als hätte man zwanghaft eine Actionsequenz einbauen müssen, um Massen taugliche Elemente a la Hollywood vorweisen zu können — und so das Konzept der Heldengeschichte in Kauf zu nehmen.
Die Heldenerzählung ist deswegen zu kritisieren, da sie das Heldentum einer einzigen Person, meist einer männlichen Figur, zukommen lässt. Dabei zeigt der Film am Anfang ein Bild von Indigenen, die demokratisch besprechen, wie sie gegen die Privatisierung vorgehen sollen. Warum wird dies nicht gelobt? Warum wird dies zum Ende von Costas alleiniger Tat überschattet? Und am Ende wird diese Impression den meisten Rezipienten bleiben.
In erster Linie stört das am Ende vermittelt Bild: der weiße Mann rette die Hilfsbedürftigen und jene stehen in seiner Schuld. Dabei fährt er wie selbstverständlich mit einem perfekt getrimmten Bart durch eine Stadt, die sich seit mehreren Tagen in Ausnahmezustand befindet.
Abgesehen von der Inhaltlichen Kritik: der Film „Para Recibir el Canto de los Pájaros“ (1995) erzählt bei nahe die gleiche Geschichte und wirft ganz ähnliche Frage auf Bezug auf den Postkolonialismus auf und spielt zusätzlich auch ein Bolivien. Dieser Film bekommt aber keine Credits von „Und dann der Regen“ ab. Ein Film, der selbst versucht antikolonialistisch zu sein, aber einen solchen Umgang mit anderen filmischen Werken pflegt, ist moralisch wenigstens fragwürdig.
Zusammengefasst, kann der Film durch seine Nacherzählung des „Wasserkrieges“ in Cochabamba und durch seine Repräsentation von Indigenen, die in der Filmlandschaft mehr als nur unterrepräsentiert ist, glänzen. Auch die Diskussion über postkoloniales Filmemachen ist sehenswert. Nur wird dies mit dem Narrativ der Heldengeschichte und der Heroisierung Costas mit einem Beigeschmack versehen, der dem Film deutlich geschadet hat. Und wirkt nach all den intelligenten Diskussionen, wie ein Schlag ins Gesicht.
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