Jahr / Land / Filmdauer: 2010 / Mexiko, Spanien, Frankreich / 104 Minuten
Regie: Icíar Bollaín Pérez-Mínguez
Autor: Bastian Dobbertin
Der Film nimmt einen sofort in das Geschehen um eine spanische Filmcrew mit, zunächst in Person des Produzenten Costa (Luis Tosar) und des Regisseurs Sebastián (Gael Garcia Bernal), die gerade mit dem Wagen an einer Schlange von Menschen, der indigenen Bevölkerung, vorbeifahren. Während Sebastián von der schieren Anzahl der Leute begeistert ist, sinkt die Stimmung von Costa spürbar. Denn diese Leute warten darauf, bei einem – von der Filmcrew beworbenen – Casting in Cochabamba (Bolivien) teilzunehmen, um durch den Job als Komparse oder Nebendarsteller (überlebens-) wichtiges Geld zu verdienen. Für den Regisseur bedeutet das große Interesse der Leute eine größere Auswahl an Schauspielern und somit mehr Möglichkeiten, den Produzenten hingegen stört mit Blick auf das Filmbudget, der notwendige Zeitaufwand und die damit verbundenen Kosten, all diese Menschen vorsprechen zu lassen. Kurzum entscheidet Costa, dass nur ein paar der Bewerber aus der Masse herausgesucht werden und der Großteil nach Hause geschickt werden soll, ohne eine Chance auf einen Job zu erhalten.
Schon zu diesem Zeitpunkt wird das Machtgefüge, der offensichtliche Unterschied zwischen den reichen Europäern und den vergleichsweise bettelarmen Südamerikanern deutlich. Die einen sind teilweise viele Stunden zu Fuß zu diesem Casting angereist, um zumindest die Chance auf ein paar Dollar und sinngemäß eine Audienz bei den Filmemachern zu bekommen und werden zum Großteil wieder weggeschickt, die anderen kommen mit einem Geländewagen und behandeln die Bewerber wie Ware, suchen sich diejenigen heraus, die ihren Ansprüchen genügen.
So kommt es auch dazu, dass sich Daniel (Juan Carlos Aduviri), einer der Bewerber, gegen die Abweisung auflehnt, die wartende Menge auf seine Seite zieht und mit seinen immer lauter werdenden Beschwerden in Aufruhr versetzt. Er beharrt darauf, dass jeder eine Chance bekommen soll, welche sie nach einer hitzigen Diskussion dann auch tatsächlich erhalten. Daniel nennt Costa im Streit hier markanterweise “Bleichgesicht”, was meiner Meinung nach der Inbegriff der Rassentrennung zwischen “Weißen” und “Indios” zu verstehen ist; also den Invasoren, die die Einheimischen immer weiter verdrängen, um Land für sich zu beanspruchen. Dies scheint bereits eine Weichenstellung darzustellen, die klar macht, worum es hier letztendlich gehen wird. Aber Sebastián ist vom Charisma des aufsässigen Daniel angetan und hält ihn dadurch bestens für die Besetzung der Filmfigur “Hatuey”, einem Stammeshäuptling der Indios, geeignet. Costa hält es gerade aufgrund dessen eigensinnigen Persönlichkeit für riskant, ihn in den Film zu integrieren, da er Schwierigkeiten wittert. Aber er lässt sich überreden und Daniel und seine Tochter werden als Nebendarsteller engagiert.
Bei dem Film, den die Filmcrew drehen möchte, handelt es sich um die Geschichte von Christoph Kolumbus, wie er auf dem Seeweg nach Indien in der Karibik landete, um nach Schätzen für die spanische Krone zu suchen. Allerdings ist der Ansatz des Filmteams ein kritischer. Der Film soll nicht die Seefahrerherrlichkeit, also die Faszination rund um die Entdecker des späten Mittelalters thematisieren, sondern in erster Linie die Schattenseite der Eroberungen; die gierige Ausbeutung und die gewalttätige Unterwerfung der indigenen Bevölkerung durch Kolumbus und dessen Gefolgsleute. In einigen Szenen scheinen bewusst immer wieder Gesichter von einheimischen Mitarbeitern gezeigt zu werden, die hinter der Kamera stehend, die herrischen und unterdrückenden Worte der Schauspieler hören und sich dadurch mit der Geschichte ihrer Vorfahren emotional auseinandersetzen, denen so viel Leid durch die mächtigen Invasoren angetan wurde.
Bereits kurz nach Beginn der Dreharbeiten entstehen vor Ort, seitens der einheimischen Bevölkerung, Proteste gegen die steigenden Preise für Trinkwasser. Nach der Privatisierung der Wasserversorgung wurden diese verdreifacht, was sich ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr leisten kann. Nach und nach schwellen die Proteste zu immer größeren und gewaltgeladenen Aufständen an, was auch das Filmprojekt in Gefahr bringt. Nicht nur weil Daniel aktiv an den Aufständen teilnimmt und von der Polizei inhaftiert wird, sondern auch weil nach der Eskalation der Ausschreitungen auf dem Platz des 14. Septembers das Kriegsrecht über die Stadt verhängt wurde und man sich nicht mehr frei bewegen kann, wodurch letztlich ein sicherer, alternativer Drehort nicht mehr erreicht werden kann. Das Filmteam muss sich also schließlich notgedrungen zum Abflug in die europäische Heimat entscheiden, bevor ihnen auch diese Möglichkeit verwehrt wird. Somit wird der Dreh nie abgeschlossen. Tatsächlich war dieser “Wasserkrieg von Cochabamba” (“Guerra del Agua”) trauriger Bestandteil der jüngeren bolivianischen Geschichte, in welchem im Jahre 2000 sieben Menschen starben und hunderte verletzt wurden.
Immer wieder wird deutlich, wie unterschiedlich die Welten sind, in denen die Filmemacher einerseits und die einheimischen Komparsen und Statisten andererseits leben. Zum Beispiel sollen ein paar indigene Frauen in einer Szene so tun, als würden sie ihre Babies ertränken, aber diese weigern sich. Während der Erklärungen Sebastiáns fangen ein paar Babies an zu schreien und die Mütter fangen an, ein beruhigendes Lied für die Kleinen zu singen. Plötzlich scheint man mitten zwischen ihnen zu stehen. Der Gesang der Mütter zieht die Aufmerksamkeit auf sich, ringsherum breitet sich wohlige Stille aus. Die Kinder beruhigen sich tatsächlich und der Regisseur fährt fort. Aber trotz der guten Worte Sebastiáns und der Überzeugungsversuche durch Daniel, verlassen die Frauen mit ihren Kindern langsam das Set. Es wird klar: Für den einen sind es bloß nachgestellte Szenen, für die anderen sind es Taten, wenn auch nur angedeutete, die mit ihrer Kultur partout nicht vereinbar sind.
Dann wird die Schere zwischen arm und reich erneut fast greifbar und die Kluft zwischen Macht und Machtlosigkeit noch deutlicher. Die Filmcrew kommt in den Genuss eines Sektempfangs eines Lokalpolitikers, während vor der Tür die armen Bürger weiter protestieren. Aus den dortigen Gesprächen zwischen dem Gastgeber und Sebastián werden zwar moralisch verschiedene Positionen herausgestellt, aber zugleich auch kapitalistische Gemeinsamkeiten enttarnt.
Die Charaktere des Films werden in unterschiedlichen Szenen zu klar strukturierten Persönlichkeiten. Zum einen der pflichtbewusste und lösungsorientierte Produzent Costa, der stets das Budget und die Zeit im Blick hat und nicht nur selbst mit anpackt, sondern auch bereit ist, die indigenen Statisten zu gefährden, um letztlich Geld zu sparen. Zum anderen der verständnisvolle und stets um Harmonie bemühte Regisseur Sebastián, der gut auf Menschen eingehen kann. Oder der mutige und für die Werte der Einheimischen stehende Daniel. Oder auch der sehr talentierte, aber auch mal aneckende Anton (Karra Elejalde), der Kolumbus spielt und sich zur Verdrängung seiner Probleme gern mal einen Drink gönnt. Nicht alle Persönlichkeiten bleiben jedoch linear, sondern wandeln sich durch die und zugunsten der Ereignisse des Films. Das beste Beispiel dafür sind die beiden Hauptakteure Costa und Sebastián. Costa zeigt viele verschiedene Facetten, z.B. indem er mit Arroganz über die Indios als billige Arbeitskräfte spricht und dadurch die Wut Daniel’s auf sich zieht, da dieser das Gespräch mitgehört hat oder indem er sich anschließend mit Daniel auszusöhnen versucht, was er dann auch mit einer zwar glaubwürdigen Entschuldigung, aber streng genommen wohl eher durch großzügige Bestechung, schafft. Auch indem er nun zulässt, dass sich sogar eine Art Freundschaft zwischen ihm und Daniel bildet, obwohl er diesen aufgrund dessen Persönlichkeit ja zunächst gar nicht im Team haben wollte. In einer weiteren Szene sieht man zunächst Sebastián, der mittlerweile aufgrund der ganzen Widerstände, mit denen das Team zu kämpfen hat, den Glauben an den Erfolg des Dreh’s verliert, doch durch die einfühlsame Motivationsrede von Costa, diesen Glauben zurückgewinnt. Durch die zurückgewonnene Überzeugung, den Film doch zu Ende zu bringen, scheint Sebastián in Folge eher emotional kühler und ergebnisorientierter zu werden. Costa hingegen wandelt sich durch die selbstlose Rettung von Daniel’s Tochter, die ebenfalls bei den Aufständen verletzt wurde, sogar noch zu einem moralischen Helden.
Als Zuschauer bekommt man durch eine ausgeklügelte Kameraführung immer das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein. Die vertraute Kamerafrau Maria, die Costa und Sebastián fast immer begleitet, hat stets eine Kamera dabei, wenn etwas auch noch so Spontanes geschieht. So etwa bereits in der ersten Szene im Auto, als die drei zum Casting fahren, oder in einer Situation, in der sie zufällig anwesend ist, während sich Einheimische gegen Angestellte des privaten Wasserversorgers auflehnen. Durch die verschiedenen Kameraperspektiven verschwimmen manchmal die Grenzen zwischen der Rahmenhandlung, also den Aktivitäten der Crew rund um den Dreh und der Binnenhandlung, dem Film über Kolumbus. Alles wirkt insgesamt hochwertig und die schauspielerischen Leistungen sind größtenteils hervorragend. Sowohl die Musik als auch der stimmige Sound untermalen die Szenen atmosphärisch und tragen zur Authentizität und Intensität der Ereignisse bei. Der Musik würde ich jedoch beinahe eine eher untergeordnete Rolle unterstellen, da die Dramatik des kurzweiligen Plots bereits emotional aufgeladen ist und auch ohne gekonnt gespielte Streichinstrumente für Ergriffenheit sorgt.
Zuletzt trifft Daniel an einer der verlassenen Drehorte auf Costa, der dort wehmütig durch ein paar Papiere blättert, wie um sich von dem gescheiterten Projekt zu verabschieden. Er überreicht Costa eine Holzschachtel als freundschaftlichen Dank für die Rettung seiner Tochter. Zur Verabschiedung umarmen sich die beiden Männer, deren Freundschaft mit Wut begann und deren Wege sich mit Zuneigung und Respekt trennen. Später stellt der Beschenkte fest, dass sich in der Schachtel ein kleines Fläschchen, beschriftet mit “yaku” (= Wasser), befindet. Das zu dem Zeitpunkt Wertvollste, was er ihm hätte schenken können.
Der Film zeigt also die Ausbeutung der indigenen Stämme durch Kolumbus (um 1492), die Ausbeutung der bolivianischen Bevölkerung durch die privaten, ausländischen Investoren bei der Wasserversorgung (um 2000) und die Ausbeutung der einheimischen Menschen durch die spanische Filmcrew, die ihnen schließlich auch nur Hungerlöhne zahlt. Die soeben beschriebene Szene könnte eine Vorstellung davon geben, wie es beim Miteinander der jeweiligen Parteien auch hätte laufen können: Freundschaftlich und respektvoll. Wenn man sich bloß umeinander gekümmert hätte, statt nur an den eigenen Profit zu denken.
También la lluvia – Sogar der Regen! Würde also die Regierung der Bevölkerung selbst den Regen nehmen, wenn sie ihn profitabel verkaufen könnte…?
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