Es ist Mittwoch, der 28. Dezember, und es ist kalt. Kalt genug, um warm eingepackt einen kleinen Spaziergang zu machen und ein Weilchen im Park zu bleiben. Durch die kahlen Baumwipfel sehe ich, wie bereits um 13 Uhr die Sonne tief steht wie an einem Sommerabend, die Wolkendecke liegt kühl und grau über der überraschend belebten Szenerie. Im Bremer Bürgerpark sitze ich gegenüber des trockenen Marcus-Brunnens, der auf einem Platz hinter dem imposanten Parkhotel steht, in einer von immergrünem Dickicht umgebenen Nische auf einer steinernen Bank – und beobachte die Passanten. Von meiner Warte aus bietet sich ein weiter Blick über nahezu den gesamten Platz, und obwohl ich damit gerechnet hatte, Menschen anzutreffen, waren es doch mehr als erwartet. Es mag niemanden überraschen, was ich zu berichten habe, schließlich ist ein Park zu dieser Jahreszeit nicht der einladendste Ort. Ich möchte mich aber demütig zeigen und trotzdem näher beschreiben, was jeder sich ohnehin schon denken kann.
Anfangs war ich noch versucht, mir jede Person zu notieren, die mein Blickfeld kreuzt, im Verlauf meiner Beobachtung habe ich jedoch angefangen, mich auf jene zu konzentrieren, die sich aus der Menge abgehoben haben. Mir schien nicht die Betrachtung jeder einzelnen Joggerin und jedes Joggers wichtig zu sein, es gab davon eine Menge und wir alle begegnen ihnen täglich: Männer und Frauen gleichermaßen, die mit ihren, wie ich beobachtet habe, oftmals bunten Jacken und kurzen oder dünnen Trainingshosen allein, oder aber zu zweit, durch den Park laufen und, wie einmal beobachtet, natürlich mal eine Pause machen und im Schritttempo gehen.
Eine zweite Gruppe winterlicher Parkbesucher, diese interessanter als die erste, waren Erwachsene verschiedener Altersgruppen mit Kind. Meist war es ein Erwachsener, oft der Vater, oder ein Pärchen aus Mann und Frau, das die Kinder begleitete, in einem Fall zwei junge Männer. Diese Grüppchen bewegten sich langsamer als andere Passanten und blieben oft stehen, um mit ihren neugierigen Kindern zu interagieren, auf sie zu warten, sie beim Erkunden zu beobachten. Ich habe sowohl Kleinkindern wie auch älteren im Alter von etwa acht dabei zugesehen, wie sie auf dem Brunnenrand turnten und balancierten, während ihre Eltern sich unterhielten oder mit Tretrad in der Hand warteten. Ein besonders lebhaftes kleines Mädchen, das ungeduldig darauf warten musste, dass ihre Mutter fertig wurde (Ich weiß nicht mit was, ich war gerade erst angekommen), warf das neben ihr stehende Fahrrad um, sodass die junge Mutter fluchend die darauf verstauten Lebensmittel vom Gehweg aufsammeln musste. In einem anderen Moment hörte ich entferntes Kinderheulen und -geschrei – die Spielplätze hier sind immer belebt.
Von den ganz Kleinen dagegen, die noch das Privileg besitzen, im Kinderwagen herumchauffiert zu werden, habe ich wenige gesehen. Zumeist waren es Frauen, die am Kinderwagen gingen. Ich erinnere mich aber an einen Jogger, der im Lauf den Kinderwagen einhändig vor sich herschob – ein guter Vater und engagierter Sportler zugleich.
Eltern, Kinder, Jogger und – der Postbote? Der Bürgerpark erstreckt sich als zweitgrößte Bremer Grünanlage über ein Gebiet von 200 Hektar, mitten in der Stadt. Entsprechend sind viele der Menschen hier auf dem Weg von A nach B, so wohl auch der Postbote auf seinem beladenen Fahrrad, der eilig über den Platz fuhr. Weniger hektisch waren dagegen die anderen Fahrradfahrer, die sicher genauso irgendwo ankommen wollten, sich damit aber weit mehr Zeit ließen. Zwei junge Männer, die zusammen eine kleine Fahrradtour zu unternehmen schienen, hielten an einer Parkbank ganz in meiner Nähe, einer setzte sich, der andere blieb stehen. Aus ihren Rucksäcken kramten sie Tüten hervor und begannen, ein paar Brötchen zu essen, wobei sie sich angeregt unterhielten, ausruhten und den weiten Platz betrachteten.
Zwar sind es oft die älteren Menschen gewesen, die ihre Umgebung visuell mehr auszukosten schienen und sich oft umsahen, doch habe ich besonders die jüngere Generation dabei beobachten können, wie sie den Brunnen genauer unter die Lupe nahm. Ich kann mir nur vorstellen, worüber sie redeten, als zwei junge Männer in Begleitung einer Frau, die etwas zurückblieb, näher an den Brunnen herantraten, neugierig hineinsahen und miteinander lachten, oder als ein weiterer junger Herr mit seiner Begleiterin vor der beschrifteten Tafel am Brunnen stehenblieb und in ausladenden Gesten auf die Brunnenstatue, dann wieder auf die Tafel deutete. Sie lasen, wie so mancher, noch ein wenig vor sich hin, bevor sie in gleicher Weise weiter schlenderten, wie sie gekommen waren.
Neben Pärchen, Familien und wenigen größeren Gruppen, in deren zahlreichster ich sechs Personen + Hund gezählt habe, fielen mir insbesondere jene Menschen auf, die allein durch den Park gingen. Extrem wenige davon (und immer zügig unterwegs) waren Frauen. Zwei davon machten dabei einen eher verlotterten und traurigen Eindruck. Eine schien krank zu sein und hustete vor sich hin, ging abwesend mit herunterhängenden Armen über den Platz. Die andere, eine ältere, kleine Person, trug einen Rucksack auf dem Rücken und gewichtig aussehende Taschen in jeder Hand, verschnaufte kurz an einer Parkbank und ging dann langsam weiter.
Die Gruppe der männlichen Einzelgänger war beträchtlich größer und bewegte sich oft gemächlicher. Das Alter spielte dabei keine Rolle, sowohl junge Männer als auch alte Herren bewegten sich über den Platz. Ein bejahrter Mann zog meine Aufmerksamkeit besonders auf sich. Er blieb etwa eine Minute lang mitten auf dem Platz stehen und betrachtete den Brunnen aus einiger Entfernung, bevor er schleichend weiterging, sich dabei aber oft noch nach der Statue umdrehte.
Um 13:40 Uhr habe ich meine Beobachtung schließlich mit erfrorenen Fingern beendet.
Zur Vollständigkeit meines Berichts komme ich nicht umhin, hinzuzufügen, dass ich bei meiner Beobachtung einige Probleme bemerkt habe, die ich mir für zukünftige Arbeiten merken sollte. Zwar habe ich einen guten Überblick über den Platz gehabt und viele Menschen vorbeigehen sehen, doch genau deswegen habe ich oft nur Momentaufnahmen der Personen machen können, bevor sie wieder verschwunden waren. Ich kann über niemanden eine genauere Beschreibung geben, falls Aspekte davon für eine Auswertung nötig sein sollten, und mir sind wahrscheinlich viele interessante Details entgangen. Außerdem wäre interessant gewesen, das ein oder andere Gespräch zu überhören, was auf diesem weiten Raum so gut wie unmöglich ist. Diese Art der Beobachtung zielt entsprechend weniger auf die Betrachtung einzelner Individuen ab, als auf eine eher empirische Studie von Menschen im Park.
Amanvir Rai
Hallo Amanvir!
Eine interessante Beobachtung. Du hast es schon selbst geschrieben: Du hast zwar sehr viel beschrieben, bist dabei aber nicht auf Details über einzelne Personen eingegangen. Es ist unmöglich an belebten Orten alles perfekt zu beobachten. Es Geschichte immer mehr als man notieren kann. Das ist nicht schlimm. Du musst dir vor deiner Beobachtung überlegen, was genau dein Ziel ist. Möchtest du einfach nur sehen was für Personen im Park sind? Oder was diese Personen machen? Oder interessieren dich beispielsweise nur die Familien vor Ort? Mit so einer Eingrenzung fällt es leichter.
Ansonsten darfst du aber auch gerne deine weiteren Sinne nutzen. Ist es kalt an dem Ort? Was hört man so alles? Wie riecht es? Das darfst du gerne alles einbauen. Deine Beobachtung ist aber auf jeden Fall gut geschrieben und vermittelt ein deutliches Bild vom Park.