In meinen alten Blogbeiträgen hat mich das Thema Klima Aktivismus sehr stark beschäftigt. Nach einiger Zeit als Aktivist und Parteipraktikant in einer Berliner Klimapartei bekam ich jedoch das Gefühl, dass Klimapolitik und Aktivismus ein Problem sind, das ich nicht nur auf lokaler Ebene angehen wollte. Einige Recherchestunden später stieß ich auf die soziale Bewegung DiEM25, über die in einem Interview mit Noam Chomsky und Yanis Varoufakis gesprochen wurde. Bei meiner Überlegung dieser Bewegung beizutreten und an verschiedenen Projekten mitzuarbeiten, kam mir die Idee einen einführenden Artikel darüber zu schreiben.

DiEM25 (Democracy in Europe Movement) wurde am 9. Februar 2016 in Berlin vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis und dem kroatischen Philosophen Srecko Horvat gegründet, welche hierbei von unterschiedlichen Europäer:innen aus diversen sozialen sowie wirtschaftlichen Institutionen, aber auch Bürgern:innen unterstützt wurden. Seitdem wächst diese soziale Bewegung stetig und kämpft für eine lebenswerte Zukunft in der Europäischen Union.

Genaue Ziele und Strategien können dem sogenannten Manifesto für die Demokratisierung Europas entnommen werden. Diesem zufolge seien „eine Herrschaft der Menschen Europas, eine Regierung durch den Demos der gemeinsame Alptraum der Elite in Europa.“. Zu den Mächtigen werden hier unter anderem Lobbyisten, Technokraten und Banker sowie Oligarchen gezählt. Somit ruft die multikulturelle transnationale Bewegung DiEM25 zu einer demokratischen Revolution auf, die sich gegen das „offizielle Europa“ wehrt. Man geht im Manifesto so weit, einen Sturz der Euro-Oligarchie als einziges Mittel einer Demokratisierung zu beschreiben. Hierbei soll eine neue transnationale Allianz eine (dem Manifesto zufolge) „echte“ dezentralisierte, partizipative Demokratie aus den alten Strukturen aufgebaut werden. Jene soll dem technologischen Feudalismus (Wirtschaftliche Verlagerung der Werteabschöpfung auf digitale Plattformen geführt von Big Tech Firmen, die unsere Daten nutzen und weiterleiten, und dabei wie Lehnsherren agieren) entgegenwirken. DiEM25 beschreibt unsere momentane Zeit als Übergangszeit, in der der zinsbasierte Kapitalismus dem, im Manifest als „schlimmer“ bezeichneten, Technofeudalismus weicht. Für mehr Einfluss in der Politik hat DiEM25 neuerdings in Griechenland und in Deutschland eine eigene nationale Partei namens MERA25 gegründet.

Um ihre Ziele zu verwirklichen nennt die Bewegung in ihrem Manifesto folgende Grundsäulen:

  • Ein Verständnis über die Funktionsweise des momentanen Systems
  • Eine Vision eines alternativen Wirtschaftssystems
  • Ein Entwurf für eine demokratische Regierungsführung
  • Ein geplanter Übergang von der Euro-Oligarchie zu einer postkapitalistischen Gesellschaft

Im Bereich der Wirtschaft setzt sich DiEM25 besonders für ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine Arbeitsplatzgarantie ein. Weitere Schwerpunkte findet man im wirtschaftlichen Wachstumsabbau, welcher Umweltschäden reduzieren soll und einen -Aufbau, der erneuerbare Energien und das soziale System stärken soll. In Bezug auf die Umwelt hat DiEM25 einen Green New Deal erarbeitet, indem vielfältige Lösungsansätze für eine bessere Zukunft in der Klimapolitik, Sozialpolitik, Agrarpolitik und für weitere damit verbundene Schwerpunkte zu finden sind. Auf der kulturellen Ebene fördert die Bewegung mit ihrem eigenen Zentrum für postkapitalistische Zivilisation „méta“ internationale Künstelr:innen aus diversen Feldern. 

Vor allem der pluralistische Kulturaspekt scheint hier von besonderer Bedeutung zu sein. Man möchte einen nationalen Stolz nicht von einem europäischen differenzieren, sondern diesen ergänzen und ausweiten. DiEM25 nimmt sich vor, jegliche Art von Diskriminierung aufgrund sozialer Klasse, Bildung, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität, Ideologie oder Glauben zu beenden, indem Unterschiede (dem Manifesto zufolge) „gefeiert“ werden. Auch im Feld der Technik positioniert sich die Bewegung humanistisch. Sie möchte ein digitales Gemeingut fördern, um zu einer Technologie im Dienst der Solidarität und der Menschen zu gelangen. Es soll nicht länger um Fragen des Profits und des Datenklaus oder der Kapitalisierung unserer privaten Informationen durch Big Tech Firmen gehen.

Besonders bemerkenswert sind die organisierten Strukturen der Bewegung und die Vergabe der Aufgaben an Experten verschiedenster Sektoren. So findet man ein sogenanntes Koordinierungskollektiv, welches als Gremium grundlegende die Bewegung betreffende Entscheidungen trifft, aber auch für die Koordination von Arbeitsgruppen zuständig ist. Jedes Jahr werden hier die Vertreter:innen neu gewählt. Für den transnationalen Austausch auf intellektueller Ebene ist der beratende Ausschuss verantwortlich, dem zahlreiche einflussreiche Denker:innen aus aller Welt angehören. Darunter finden sich neben vielen anderen Größen wie Naomi Klein, Slavoy Zizek, (ehem.) Julian Assange und Noam Chomsky wieder. Auf der Mikroebene entdeckt man bei DiEM25 zum einem die lokalen Arbeitsgruppen, zum anderen die Bundeskollektive / nationalen Kollektive, die sich zu Besprechungen zusammenfinden und gemeinsam dem Gremium erarbeitete Empfehlungen vorschlagen.

Mir persönlich erschienen die radikalen kämpferischen Aussagen anfangs etwas irritierend für eine Bewegung die, aus meiner Sicht, sehr demokratische und soziale Ziele verfolgt. Doch nachdem ich das Manifest gelesen und einigen Online-Debatten auf YouTube gefolgt bin, festigte sich mein Eindruck, dass es sich um eine wirklich revolutionäre Bewegung handelt. Ich denke, es bedarf wohl einer gewissen Radikalität und/oder eines sturen Optimismus bei der Formulierung von Forderungen, um inmitten einer Krise (der Krise der Europäischen Union) einen gewissen „Aufwach“-Effekt zu provozieren. Vertretbar erscheint mir dies, solange es gut durchdachten Zielen dient und der Allgemeinheit der europäischen Bürger:innen zugutekommt. Ich hoffe, dass ich einen recht positiven ersten Eindruck von dieser anfangs recht radikal wirkenden, dennoch dynamischen und interessanten Bewegung vermitteln konnte und im Idealfall ein Interesse an weiterer Beschäftigung mit DiEM25 geweckt habe. Für diese Weiterführung dienen auch die unten angeführten Links.

Was ist Technofeudalismus? https://www.project-syndicate.org/commentary/techno-feudalism-replacing-market-capitalism-by-yanis-varoufakis-2021-06/german

Ofizielle Website von DiEM25 (und das Manifesto): https://diem25.org/about-us/

Méta Zentrum für postkapitalistische Zivilisation: https://metacpc.org/en/

Der Green New Deal von DiEM25 : https://report.gndforeurope.com

MERA25-Partei Website Deutschland und Griechenland: https://www.mera25.de/en/demokratie-in-europa/ und https://mera25.gr