1. Was bedeutet der Slogan: „Nicht über uns ohne uns!“ hinsichtlich der gleichberechtigten Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung?
1983 geben DeLoach, Wlkins und Walker eine Definition von Selbstbestimmung, die hier gekürzt Erwähnung finden soll:
Selbstbestimmt Leben heißt, Kontrolle über das eigene Leben zu haben, basierend auf der Wahlmöglichkeit zwischen akzeptablen Alternativen […]. Das schließt das Recht ein […] Entscheidungen selbst fällen zu können, ohne dabei in die psychologische oder körperliche Abhängigkeit anderer zu geraten.
Der Slogan „Nicht über uns ohne uns!“, der Anfang der 80er Jahre im Zuge der Behindertenrechtsbewegung Popularität gewann, zielt auf die Verwirklichung der Selbstbestimmung ab. Es geht darum, dass nicht über die Köpfe behinderter Menschen hinweg, sondern mit ihnen und durch sie entschieden werden soll. Besonders bei Entscheidungen, die die beeinträchtigten selbst betreffen, wird gefordert, dass eine Entscheidungsfindung nur unter Berücksichtigung der Personen(gruppen) selbst stattfindet.
In leicht abgewandelter Form findet sich die Forderung wortwörtlich auf der ersten Seite der UN-BRK wieder. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen richtet sich persönlich an die Leser:innen und bezieht sich dabei auf den Slogan „Nichts über uns ohne uns“ (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen 2018, H.d.V). Er ist somit zentral bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen.
Besonders für Jugendliche mit Behinderungen ist die Umsetzung des Geforderten besonders wichtig, denn zu oft werden ihre eigenen Anliegen und Meinungen durch Menschen in ihrem Umfeld, seien es die Lehrer, die Sonderpädagogen, die Ärzte oder auch die eigenen Eltern, übergangen, mit dem Argument man wisse was „das Richtige für das Kind“ sei.
2. Bitte reflektieren Sie die Erfahrungen der beiden Gäste, Amelie Gerdes und Silas Palkowski, vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Erfahrungen: Welche Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren (u.a. räumlich, personell, materiell) sind in der Schule und im Übergang in den Beruf / das Studium bezogen auf die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung förderlich und welche hinderlich?
Amelie hat erzählt, dass sie seit ihrer frühen Kindheit Glück damit hatte, immer auf verständnisvolle Menschen getroffen zu sein, die sie unterstützt und sie auf ihrem Weg begleitet haben. So ist es ihr möglich gewesen, die Schule erfolgreich abzuschließen und ein Studium zu beginnen. Im Gegensatz dazu stehen Silas Erfahrungen. Ein Beispiel führt er weiter aus: nach seinem Sturz war es ihm nicht mehr möglich, effizient handschriftliche Texte zu verfassen. Dennoch bestand einer seiner Lehrer darauf, dass eine zu schreibende Arbeit nicht am Computer oder mündlich stattfinden solle. Somit war es Silas nicht möglich die Arbeit erfolgreich abzuschließen. Nicht etwa wegen seinen kognitiven Fähigkeiten, sondern aufgrund äußerer Faktoren.
In meiner Schulzeit hatte ich nicht viel mit behinderten Schüler:innen zu tun, wir hatten lediglich einen Autisten in unserer Klasse. Generell lässt sich sagen, dass in unserer Klasse eine starke Gruppenbildung stattgefunden hat, wobei Max (Name ist frei erfunden) wenig Teilhabe hatte. Das lag zum Teil sicherlich daran, dass es schwierig war, mit ihm zu kommunizieren, andererseits aber auch daran, dass er von einer Sonderpädagogin begleitet wurde, die ihm quasi auf Schritt und Tritt folgte. Dadurch war es unmöglich, mit ihm zu reden, ohne von einer Erwachsenen dabei „belauscht“ zu werden, was dazu führte, dass kein lockerer Kontakt zwischen meinen Mitschülern und ihm stattfand. An diesem Beispiel wurde für mich deutlich, dass es nicht nur hilfreich ist, Schüler:innen sonderpädagogisches Personal zur Seite zu stellen, sondern auch negative Konsequenzen haben kann.
3. In der Vorlesung wurde auch die Perspektive der Eltern von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung angesprochen. Welche Bedeutsamkeit messen Sie der Zusammenarbeit mit Eltern bei und welche Schlussfolgerungen leiten Sie daraus für sich als angehende Lehrkraft ab?
Beide Elternteile haben unterstrichen, dass für die erfolgreiche Schulbildung der Kinder die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften essentiell ist. Die Eltern öffnen den Schüler:innen die Türen zu inklusiver Schulbildung, indem sie den Lehrer:innen Wege aufzeigen, wie ihre behinderten Kinder trotz ihrer unterschiedlichen Einschränkungen am Unterricht teilnehmen können.
Ich habe für mich erkannt, dass es deshalb essenziell ist, dass die Lehrkräfte der Zukunft (und damit auch ich) von sich aus nach Inklusionsmöglichkeiten suchen und kreativ denken. Denn momentan braucht es zur Öffnung der gedanklichen Schranken der Lehrkraft die Initiative der Eltern. Sollten die Eltern allerdings nicht die Kapazitäten haben, um sich konstant um Kontakt zu verschiedensten Lehrkräften zu bemühen oder (im Extremfall) sollten die Schüler:innen vom Jugendamt betreut werden, muss diese Initiative von der Lehrkraft selbst kommen.
Quellen:
Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Hrsg.) (2018). Die UN-Behindertenrechtskonvention Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Stand: November 2018. Bonn.
DeLoach, C.P.; Wilins, R.D.; Walker, G.W. (1983): Independent Living – Philosophy, Process and Services. Baltimore. S. 64. Übersetzung hier von: Horst Frehe, URL: http://www.handbuch-empowerment.de/index.php/zum-nachschlagen/glossar/86-selbstbestimmung, letzter Abruf: 05.05.2023.
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