Eine für mich zentrale Erkenntnis bezieht sich auf die Art und Weise, wie Schüler*innen am besten lernen: nämlich im sozialen Austausch miteinander. Dies ist mir besonders in der RV04, bei der es um mathematische Leistungsunterschiede ging, aufgefallen. Hier wurde darüber referiert, wie stark das Spielen zum Lernzuwachs beiträgt (vgl. Knipping et al 2017: 3-6), und dieses Spielen passiert natürlich nicht zwischen einzelnen Schüler*innen und der Lehrkraft sondern der Schüler*innen miteinander. Auch in der Vorlesung RV07 von Frank J. Müller, mit dem Oberthema der Inklusion, wurde der soziale Austausch als Lernmöglichkeiten beschrieben, als z.B. darüber berichtet wurde, dass Gruppentische zu einem besseren Klassenklima und beitragen und auch die Differenzierung der Lehrkraft unterstützen (Müller 2013: RV07, Folien 16-20). Dies deckt sich mit der entwicklungslogischen Didaktik von G. Feuser, welche mir im Rahmen meines Studiums der Inklusiven Pädagogik begegnet ist, und welche sich unter anderem auf Erkenntnisse der Behindertenpädagogik und der Kulturhistorischen Schule, wie beispielsweise Vygotskij, bezieht (Feuser 2018: 151). Dies macht deutlich, dass die Art und Weise, wie ich selber Schule erlebt habe, nämlich größtenteils im Frontalunterricht mit seltenen Gruppenarbeitseinheiten, kontraproduktiv für das Lernen der Schüler*innen ist. Diese Vorgehensweise im Unterricht kann und sollte auf alle Fächer angewandt werden, und beschränkt sich nicht nur auf den Mathematikunterricht.
Fürderhin erklärten die Dilemmata nach Greiner (2019) die Spannungen die unweigerlich durch den aktuellen Schulbetrieb und durch die verschiedenen Funktionen der Schule (vgl. Fand 2011: 42) entstehen. Greiner beschreibt hierbei sechs verschiedene Dilemmata, von denen ich zwei für besonders bedeutsam halte: das Kategorisierungsdilemma und das „Als-ob“-Dilemma. Das Kategorisierungsdilemma (hier sei auch noch auf das Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma aus RV07 hingewiesen, welches stark mit dem Kategorisierungsdilemma zusammenhängt) beschreibt, dass Inklusion immer eine differenzierte individuelle Diagnostik fordert, gleichzeitig aber auch immer Kategorisierungen ablehnt, während das „Als-ob“- Dilemma beschreibt, dass Schüler*innen mit Förderschwerpunkt und „leistungsschwache“ Schüler*innen im inklusiven Unterricht zu „extra“ Leistungen angespornt werden, andererseits ihre Leistungen jedoch nicht ausreichend gewürdigt werden. Als angehende Lehrkraft sollte einem bewusst sein, dass diese Spannungen sich im Schulalltag niederschlagen und auf die daraus resultierende schüler*innenspezifische Realität sensibel reagieren.
Die allgemeine Sensibilität für Heterogenität ist meines Erachtens ein „Grundpfeiler“ für gelungenen Unterricht. Wie bereits oben erwähnt, habe ich selber überwiegend Frontalunterricht erlebt, bei dem die Lehrkräfte kaum bis gar nicht individuell agieren und reagieren konnten bzw. können, da dieses Unterrichtsvorgehen nur sehr starre Regeln zulässt. In einer solchen Unterrichtsgestaltung kann nicht auf die Heterogenität der Schüler*innenschaft eingegangen werden. Die Inhalte der Ringvorlesung, wie zum Beispiel die Fokussierung auf die eigene Verantwortung bei der (Nicht-)Reproduktion von Stereotypen oder auch Ansätzen zu einem gelungenen Unterricht durch Gruppentische und Projektvorhaben, bietet mir zu meiner eigenen Schulerfahrungen eine positive Kontrastfolie. Hiebei überraschte mich die von Professor Müller vorgestellten Ergebnisse zur Praxis der Gruppentische (Müller 2013: RV07, Folien 16-20), da diese in meiner eigenen Schulzeit von Eltern und Lehrkräften oftmals ungern gesehen wurde. Auch wenn Gruppentische keine „Lösung für alles“ bietet, so sind diese doch ein Anfang sich vom klassischen Schulunterricht zu lösen. Der Gedanke der Gleichheit und der Gerechtigkeit („Equality vs. Equity“, RV01, Folie 29) ist durch die gesamte Vorlesungsreihe besonders zum Tragen gekommen und sollte zur Einschätzung von gelungenem Unterricht – nämlich wenn jede*r Schüler*in auf seinem/ihrem Niveau unter Berücksichtigung seiner Schulbiographie die gleichen Inhalte individuell erlernen darf/kann – die Basis bilden.
Besonders interessant empfinde ich bei der momentanen gesellschaftlichen Lage das Thema Gender – es würde mich noch viel mehr interessieren, wie man als Lehrkraft bewusst gegen starre Rollen und unterbewusste Handlungen vorgehen kann um Schüler*innen sensibel gegenüber zu treten und Gender zu dekonstruieren.
In der Vorlesung wurden zwar mehr als eine Einheit der Inklusion gewidmet, allerdings habe ich hier den Aspekt der „Intelligenz“ vermisst. Meines Erachtens werden im Schulalltag zu häufig Zuschreibungen anhand von IQ-Test-Ergebnissen der Schüler*innen gemacht und vielen Lehrkräften ist nicht bewusst, dass Intelligenz kein starrer Wert ist und hier oftmals eine „soziale Diskriminierung“ stattfindet (vgl. Bourdieu 1993: 254).
Zudem würde mich eine Vertiefung des Themas Migration mit mehr Informationen und Details interessieren, da, wie in der Vorlesung dazu betreffend gezeigt wurde, ein Großteil der Schüler*innen, auch ich, einen Migrationshintergrund hat (vgl. Karakaşoglu 2019) und dieser für die Schüler*innen, wie beispielsweise beim im Falle des Doing Culture, sowohl negativ als auch positiv, sehr präsent, sein kann.
Literaturverzeichnis:
Fend, Helmut (2011): Die sozialen und individuellen Funktionen von Bildungssystemen: Enkulturation, Qualifikation, Allokation und Integration. In: Hellekamps, S./Plöger, W./Wittenbruch, W. (Hrsg.): Handbuch der Erziehungswissenschaft. Bd. 3: Schule. Paderborn u. a. 2011, S. 41–53.
Feuser, Georg (2018): Entwicklungslogische Didaktik in: Müller, Frank J. [Hrsg.]: Blick zurück nach vorn – WegbereiterInnen der Inklusion. Band 2. Originalausgabe. Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 147-165
Greiner (2019): wurde aus der Präsentation der Ringvorlesung 08 von Matthis Kepser entnommen, es gab leider keine weiteren Verweise auf die Primärquelle
Karakaşoglu, Yasemin/Linnemann, Matthias/Vogel, Dita (2019): Schulischer Umgang mit transnationaler Migration und Mobilität. Rückschlüsse aus Empfehlungen der Kultusministerkonferenz seit den 1950er Jahren
Knipping, Christina / Korff, Natascha / Prediger, Susanne (2017): Mathematik-didaktische Kernbestände für den Umgang mit Heterogenität – Versuch einer curricularen Bestimmung in: Christoph Selter, Stephan Hußmann, Corinna Hößle, Christine Knipping & Katja Lengnink (Hrsg.), Diagnose und Förderung heterogener Lerngruppen – Theorien, Konzepte und Beispiele aus der MINT-Lehrerbildung. Münster: Waxmann, 39-60
Bildquelle: „Take some time to reflect.“ von https://www.pinterest.de/pin/293648838181894566/ zuletzt aufgerufen am 26.07.2020
2 Antworten auf „Abschlussreflexion“
Liebe Elina,
eine sehr eigenständige, reflektierte Bearbeitung der Abschlussaufgabe. Passend dazu das Profilbild mit der reflektierenden Katze 🙂
Besonders aufgefallen ist mir ihre Meta-Perspektive auf Equity und Inklusion sowie die Aufmerksamkeit gegenüber Stereotypisierungen im Hinblick auf verschiedene Diversitätsdimensionen.
Bestanden.
Yasemin Karakasoglu
göre ikilemler, kaçınılmaz olarak mevcut okul operasyonlarından ve okulun çeşitli işlevlerinden kaynaklanan gerilimleri açıklıyordu